Die Hitzkammer
vertraut sein. Seht Euch trotzdem vor. Kann die Kranke sprechen?« »Sie redet kaum. Wie viel bekommt Ihr für das Kraut?«
Veith winkte ab. »Nichts, aber richtet der Frau aus, dass Reden ihrem Befinden nicht zuträglich ist.«
Lapidius nickte und verabschiedete sich. Als die Tür hinter ihm ins Schloss fiel, hatte er das Gefühl, als blicke Veith ihm unverwandt nach.
Zwei Döschen in der Hand – eines für die Pillen, das andere für das Bilsenkraut –, ging Lapidius gemessenen Schrittes nach Hause. Er hatte Veith aufgesucht, um ihm den Alambic zurückzugeben, und insgeheim gehofft, bei dieser Gelegenheit etwas zu erfahren, das ihm weiterhalf. Rückblickend überlegte er, ob das zutraf. Der Apotheker war zweifellos ein ungewöhnlicher Mann; ein Mensch mit zwei Gesichtern: einerseits geschwätzig, distanzlos, ja sogar albern, andererseits beherrscht und durchaus auf der Hut. Die Verwandlung, Lapidius erinnerte sich genau, war eingetreten mit seiner Frage, ob Veith am Vorabend des Mordes ebenfalls nicht zu Hause gewesen sei. Da hatte er geantwortet »Am Abend zuvor? Nicht dass ich wüsste …« und die Pillen überreicht. Wieso wusste der Mann, was er am Freitagabend gemacht hatte, nicht aber, wo er am Donnerstagabend gewesen war?
Und dann war da noch eine Unstimmigkeit, die Lapidius spürte, aber gedanklich nicht fassen konnte. Er grübelte und kam eine ganze Weile nicht darauf, doch dann, plötzlich, wusste er es. Veith hatte am Schluss gesagt: »… richtet der Frau aus, dass Reden ihrem Befinden nicht zuträglich ist.« Das mochte ein hilfreicher Rat sein, denn wer krank war, tat niemals gut daran, viel zu sprechen. Vielleicht aber war es auch etwas anderes – eine Drohung. Ja, eine Drohung. Und wenn dem so war: Hatte Veith Sorge, Freyja könne etwas ausplaudern, das ihm schadete? Ihm und anderen?
Und noch j emanden gab es, der sich ganz ähnlich geäußert hatte. Gorm war es gewesen, beim Holzhacken. »Reden nich gut für … für Gesundheit«, hatte er gebrummt.
Lapidius blieb stehen. Die Gedanken wühlten in seinem Kopf. Über Freyj a lag ein Rätsel; sie hatte Dinge erlebt, an die sie sich nur bruchstückhaft erinnern konnte. Augen, Hände, eine Stimme und die Farbe Rot spielten dabei eine Rolle. Die eigentliche Frage war: Was hatte sich während der Gedächtnislücken zugetragen? Waren es Schandtaten, begangen von Männern wie Veith?
War Veith ein Filius Satani?
Lapidius schnaufte und schritt wieder aus. Die Phantasie war mit ihm durchgegangen. Veith, der Pillendreher, mochte zwei Gesichter haben, aber ein Meuchler war er nicht.
Oder doch?
»Koste einmal von diesem Präparat.« Lapidius hockte vor der geöffneten Hitzkammer und hielt Freyja die Fingerkuppe mit Bilsenkraut hin. »Lecke es einfach ab.« Er vermied bewusst, ihr zu sagen, um was es sich handelte.
»Was ist das?«
»Lecke es nur ab.«
Sie tat es und verzog sofort das Gesicht.
»Ich weiß, es ist bitter. Erinnert dich der Geschmack an etwas?«
»Nein.«
»Nun gut.« Er nahm auf der Truhe Platz. »Vielleicht müssen wir einen Augenblick warten, bis der Nachgeschmack einsetzt.«
Freyja bewegte prüfend ihre vom Kalkpulver weißen Lippen. »Ich … ich glaub, ich weiß es!«, stieß sie nach einer Weile hervor. »Der eklige Geschmack von dem Abend ists, als ich zum Wagen gelaufen bin … nach der Sache mit den Augen und den Händen.«
Lapidius reichte ihr etwas Wasser, damit sie nachspülen konnte. »Es handelt sich um Bilsenkraut«, sagte er, und in seiner Stimme schwang Erregung mit. »Der Beweis ist erbracht. Die geheimnisvollen Hände, zu denen die Augen und die Stimme gehören, versetzten dich wahrscheinlich in einen rauschartigen Zustand, der deine Wahrnehmungen für eine bestimmte Zeit beeinträchtigte. Dennoch: Das allein erklärt kaum, warum es einen Zeitraum gibt, für den dir jegliche Erinnerung fehlt.«
Sie zuckte mit den Schultern. Er schloss die Türklappe und fragte sich, wie er ihrem Gedächtnis auf die Sprünge helfen konnte. Er spürte: Wenn erst ihre Erinnerung wiederkam, würde er wissen, wer die Drahtzieher hinter all dem Bösen waren. Wer Gunda Löbesam getötet und wer die Zeuginnen zu ihren Falschaussagen verleitet hatte. Etwas anderes fiel ihm ein: »Ich soll dir von Apotheker Veith bestellen, dass Reden deinem Befinden nicht zuträglich ist.«
Sie blickte ihn aus großen Augen an, und er sah, dass sie kein Wort verstand. Vielleicht hatte er sich nur zu gewählt ausgedrückt? »Reden wäre nicht gut
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