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Die Hitzkammer

Die Hitzkammer

Titel: Die Hitzkammer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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die Diele und verrammelte damit die Tür. Er wusste, wenn man seiner Patientin erst einmal habhaft geworden war, konnte sie nichts mehr retten. Die aufgebrachte Menge würde ihren ganzen Körper nach j enem schmerzunempfindlichen Mal absuchen, das dem Volksglauben nach jede Hexe besaß und das von Luzifer persönlich aufgedrückt war. Das Mal galt als unsichtbar, weshalb so lange auf die vermeintliche Teufelsbraut eingestochen wurde, bis man die Stelle, an der sie nichts spürte, gefunden hatte. Gab es eine solche Stelle nicht, war die Unschuld der Verdächtigten erwiesen – was ihr jedoch meistens nichts mehr nützte. Welch eine bestialische Probe!, dachte Lapidius angewidert. Sie steht den Qualen in der Folterkammer um keinen Deut nach.
    In fliegender Hast kleidete er sich an und sprach in den Sprechschacht. »Freyja, Freyja! Hörst du mich?«
    »Ja«, kam es hohl zurück. »Was ist das für Lärm?«
    »Pöbel! Der Pöbel ist draußen. Er hat sich zusammengerottet und will dich holen! Du musst fliehen! Versuche, aus der Hitzkammer zu steigen und … und …« Seine Gedanken rasten. »… und lauf hinten zum Haus hinaus, fort über die Höfe! Marthe ist auch schon in die Richtung davon, ich habe sie rennen sehen. Um Gottes willen, beeile dich!«
    »Ich … ich kanns nicht, ich …«
    »Du musst! « »N… nein, es geht doch nicht!«
    »Nun, nun … gut. Mach dir keine Sorgen. Ich werde die Schreier beruhigen!« Er eilte zum Dielenfenster, riss es auf und blickte unmittelbar in die wogende Menge. »Leute!«, rief er, »Leute, so nehmt doch Vernunft an! Es ist …«
    Ein derber Fausthieb hatte ihn an der Brust getroffen. Die Menge johlte. »Hexenbuhler!« Geschrei, Gelächter folgten. »Hexenbuhler, Hexenbuhler! «
    Arme griffen nach ihm, zerrten an seinen Kleidern, Fingernägel versuchten, sein Gesicht zu zerkratzen. Er wehrte sich, stieß die Angreifer zurück. Mitten in dem geifernden Pack erkannte er die Zeuginnen Koechlin und Drusweiler. Sie machten lange Hälse und schrien aus voller Kehle mit. »Wartet nur, ihr Megären, die Stunde wird kommen, da ihr bezahlt!« Während er sie voll Zorn mit den Augen verfolgte, teilte sich jählings die brodelnde Menge. Der Pfarrer wurde sichtbar. Er ruderte mit den Armen und rief etwas Unverständliches. Lapidius versuchte, sich bemerkbar zu machen. »Pfarrer Vierbusch! Pfarrer Vierbusch, so beruhigt doch die Leute! Betet, stimmt ein Lied an, tut irgendetwas!« Doch der Gottesmann hatte ihn nicht gehört. Er war selbst nur ein Spielball der Gewalten. Und dort zur Linken! Das war doch Krabiehl! Er stand vor seinem Haus und mühte sich mehr schlecht als recht, die Menge zurückzuhalten. Warum unternahm er nicht mehr? Schon donnerten die ersten Schläge gegen die Tür. Feste Gegenstände erschienen in den Händen der Masse. Steine, Latten, Prügel. Ein baumlanger Kerl hatte ein Beil aufgetrieben, mit dem er wie von Sinnen auf das Türschloss einhieb. »Halt! Halt! Aufhören damit!«
    Wieder traf ihn ein Fausthieb, sein Kopf flog zur Seite. Halb verlor er das Bewusstsein. Eine derbe Hand riss ihn am Kragen, wollte ihn nach draußen zerren. »Hexenbuhler! Hexenbuhler! «
    Er schlug zurück, traf aber nicht. Augenblicke später gelang es ihm, sich der Arme und Hände, die wie Spinnenbeine um ihn herum waberten, zu erwehren, sie zurückzudrängen und das Fenster zu schließen. Sein Jochbein schmerzte, der Schlag war heftig gewesen. Doch für Selbstmitleid war keine Zeit. Unter dem Gewicht der Leiber bog sich die Haustür bereits nach innen. Mit einem hässlichen, metallischen Krachen ging draußen das Schloss entzwei. Der Bursche mit dem Beil hatte ganze Arbeit geleistet. Lapidius warf sich gegen die schwere Kiste, versuchte, der Tür damit Stabilität zu geben, doch es war vergebens. Der Druck war zu groß; das Holz gab nach. Eine Welle von Menschenleibern brach herein und brandete über ihn hinweg. Schon am Boden liegend, spürte er Tritte und Schläge am ganzen Körper, und dann, plötzlich, wurde es dunkel um ihn.
    Als er wieder zu sich kam, war die Menge fort. Eine merkwürdige Stille lag über dem Haus. Die Tür hing in den Angeln. Lapidius befühlte sein Jochbein und die schmerzenden Glieder. Nichts schien gebrochen, gottlob! Mühsam erhob er sich und sah sich um. Die Kiste war umgestürzt, ihr Inhalt hatte sich über die gesamte Diele verteilt. Zinnober, Sulfurbrocken, Quarze, Blei und Erzgestein lagen kunterbunt herum. Gut, dass sie keinen Schaden genommen hatten; sie

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