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Die Hitzkammer

Die Hitzkammer

Titel: Die Hitzkammer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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keine Ahnung zu haben, warum. Die Zeuginnen Koechlin und Drusweiler, die veranlasst worden waren, Freyj a zu verleumden. Dann der alte Holm, der beide ermordeten Frauen als Erster entdeckt hatte – ein Zufall? Oder steckte mehr dahinter? Dazu Richter Meckel, der den Büttel für sich arbeiten ließ und der vielleicht mehr wusste, als er zu erkennen gab. Gesseler, der Stadtmedicus, der seinen Dienst in der Folterkammer nicht angetreten hatte, weil er unter Fallsucht litt, diese aber nicht behandelte. Pfarrer Vierbusch, der es nicht für nötig befunden hatte, Gunda Löbesam den Letzten Segen zu erteilen, aber höchst empört war über die Verunzierung des Engels Gabriel auf seinem Triptychon.
    Und schließlich war da noch Herobert Veith, der Apotheker, den es an manchen Abenden nicht zu Hause hielt, der Bilsenkraut feilbot und der sich erkundigt hatte, ob Freyja viel redete – ebenso wie es Meckel, der Richter, getan hatte und Gorm, der Schwachkopf. Letzterer gleich mehrfach.
    Überhaupt die Oberhäupter der Stadt: Stalmann, der Bürgermeister, der – wirklich oder nur scheinbar? – dem Gesetz Genüge tun wollte, dann Stadtrat Kossack, der in seinem Verhalten blass geblieben war und vielleicht gerade deshalb beobachtet werden musste, ferner der Stadtrat Leberecht mit dem zuckenden Augenlid, der Freyja lieber heute als morgen auf dem Scheiterhaufen gesehen hätte.
    Und die schiefe Jule. Von ihr glaubte er am allerwenigsten, dass sie es getan haben könnte, schon ihres körperlichen Gebrechens wegen. Viel eher kamen da die Handwerker in Frage, die einen Bohrer in ihrem Besitz hatten. Ehlers, Hartmann und Voigt hießen sie. Und – Tauflieb. Immer wieder Tauflieb. Ein Stöhnen drang an sein Ohr, und er glaubte zunächst, es stamme von ihm, gewissermaßen als Ausdruck seiner wirbelnden Gedankenströme. Doch dem war nicht so, denn das Stöhnen wiederholte sich, und es klang wie »Nein! «.
    Nein?
    Schlagartig wurde ihm klar, dass die Laute von oben durch den Sprechschacht zu ihm drangen. Freyj a musste die Urheberin sein. Rief sie ihn, oder träumte sie?
    »… eiiin!«
    Sie musste träumen, etwas Schreckliches träumen! Was sollte er tun? Er war im Zweifel. Wenn er nach oben eilte, um ihre Worte besser zu verstehen, lief er Gefahr, Wichtiges nicht mitzubekommen. Blieb er unten, konnte er nur raten, was sie sagte. Er tastete in seinen Taschen nach dem Schlüssel und fand ihn natürlich wieder nicht. Also rannte er in die Küche, um unter dem Ziegel in der Wand nachzuschauen. Es war ein ewiges Hin und Her mit dem vermaledeiten Schlüssel, mal hatte Marthe ihn und mal er, aber er wollte unbedingt vermeiden, dass es einen zweiten gab. Gott sei Dank, da lag er ja! Er rannte die Stiege empor, entzündete in fliegender Hast die kleine Öllampe und öffnete die Türklappe. Freyja schlief unruhig, warf den Kopf hin und her, als wolle sie einer Gefahr von oben ausweichen.
    »Stein … neiiin … das Gesicht … Stein …«
    Wie gebannt lauschte er ihren Worten, wartete auf weitere Äußerungen, doch sie blieben aus. Enttäuscht wollte Lapidius Freyja schon wecken, da ging es wieder los:
    »Nein … Zahn … Zähne … Stein … scharf, so scharf.« Sie schlug mit den Händen um sich, verzweifelte, unverständliche Laute ausstoßend. Dann schwieg sie wieder, atmete unruhig, keuchte und stöhnte wie schon am Anfang.
    Lapidius wartete auf einen neuen Ausbruch, aber er wartete vergebens. Freyja beruhigte sich immer mehr, und bald darauf verrieten tiefere Atemzüge, dass die Traumbilder in ihrem Hirn verblassten. Lapidius spürte, er musste handeln. Er rüttelte sie an der Schulter. »Freyj a. Freyj a! Wach auf! «
    Nur langsam kam sie an die Oberfläche der Wirklichkeit. Verstört blickte sie um sich und blinzelte mit den Lidern, bevor sie Lapidius erkannte. Dann schloss sie wieder die Augen.
    »Freyja! So wach doch auf!«
    Endlich wandte sie sich ihm zu. »Ja?«
    »Was hast du da eben geträumt? Es könnte von größter Wichtigkeit sein!«
    »Geträumt? Ich … ich …«
    »Was war es? Was hast du geträumt?«
    »Ich … alles war dunkel, dann scharf und spitz … ich weiß nicht.«
    »Höre, ich nenne dir jetzt Wörter, die du eben im Schlaf gesprochen hast, vielleicht kommt dir dann die Erinnerung wieder.« Lapidius konzentrierte sich, um die wenigen Sinn machenden Silben der Reihe nach zu wiederholen. »›Stein‹ konnte ich als Erstes heraushören, vielleicht hieß es aber auch ›nein‹, ich bin nicht sicher, dann

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