Die Hoehle der Traenen
weil die meisten von den Windgeistern verschlungen worden waren. Diese Geister waren wahrhaftig tot. Doch es waren auch einige Soldaten darunter, und er sah auch ihr erstes Opfer, nämlich den jungen Offizier, den sie hatten ausbluten lassen, um die Geister am Leben zu halten. Der Mann stand mit verschränkten Armen da und starrte Saker an, als überlege er sich gerade, wie er ihn am besten umbringen konnte.
In diesem Augenblick kam ein aufgeregt wirkender junger Mann auf sie zu. Zel starrte ihn an, als könne sie es nicht fassen.
»Flax?«, flüsterte sie und rannte dann auf ihn zu, um sich
ihm in die Arme zu werfen. Schließlich rückte sie ein wenig von ihm ab und schüttelte ihn durch. »Ich hatte dir doch gesagt, du sollst dich von Ärger fernhalten! Ich hatte dir gesagt, du sollst aufpassen!« Saker spürte, dass sein Herzschlag einen Moment aussetzte. Doch es war nicht die Stimme einer Geliebten, mit der sie ihn ausschimpfte. »Du bist weggegangen und hast dich umbringen lassen!« Ihr Bruder vielleicht? Sie fing an zu weinen, verdeckte mit ihren Händen das Gesicht, und der Jungen klopfte ihr auf den Rücken. Er hatte einen sonderbaren Ausdruck im Gesicht, eine Mischung aus Mitleid und Bestürzung ob ihrer Tränen.
Saker bemerkte eine alte Frau, deren dunkles Haar sich von ihrer Blassheit abhob und die Zel und Flax aufmerksam anschaute, sich jedoch von ihnen fernhielt, als habe sie nicht das Recht, ihnen näher zu treten. Sie zögerte, drehte sich dann um und ging zurück in die Menschenmenge, in der sie sich verlor.
Saker zwang sich, seinen Blick von Zel abzuwenden. Wichtig war nun, dass sie mehr als genug Geister hatten, um die Verteidigungsanlagen von Turvite zu durchbrechen. Es würden sich ihnen wohl nicht alle anschließen, aber das spielte keine Rolle. Sie waren unbesiegbar.
Alder begann, die Geister, die nach Turvite gekommen waren, in Gruppen einzuteilen, um anschließend auf die Stadt zuzumarschieren. Owl versammelte jene neuen Geister um sich, die Sakers Worte freudig aufgenommen hatten, und ordnete sie Alders Gruppen zu, die nun zahlenmäßig rasch anschwollen. Sie würden den Schutzbann brechen. Die anderen Geister konnten hier warten.
Flax sah sich um und begriff, was hier geschah. Sein Gesicht, das zuvor so weich gewesen war, wurde hart, und er wirkte älter. Er entfernte sich von Zel und machte sich auf die Suche nach anderen in der Menge. Dabei stieß er auf
einen älteren und zwei jüngere Männer. Als er Oak sah, erhellte sich seine Miene, und er ging voller Begeisterung zu ihm. Dann aber erkannte er, dass Oak einer derer war, die eine der Gruppen für den Kampf vorbereiteten – sie überprüften ihre Waffen und steckten sich Messer in die Gürtel. Er ergriff Oaks Arm, doch dieser starrte ihn nur versteinert an und zog sein Gürtelmesser. Flax wich zurück.
Dann trat er in die Menge. Saker betrachtete ihn eingehender. Warum, wusste er nicht, aber seine seherischen Fähigkeiten sagten ihm, dass Flax wichtig war. Auch Zel schaute zu. Ihre Miene war undurchdringlich. Flax ging auf den jungen Offizier zu, den sie hatten verbluten lassen. Sie taxierten einander. Flax wies auf die Stadt und schüttelte den Kopf. Der Offizier breitete die Hände aus, die natürlich leer waren, da er nicht kämpfend und mit einer Waffe in der Hand gestorben war.
Flax machte eine wegwerfende Geste als Entschuldigung. Dann drehte er sich um und marschierte auf den Pfad zu, der in die Stadt führte. Er pflanzte sich darauf auf und starrte den Offizier und die anderen Geister, die sich den Gruppen nicht anschlossen, herausfordernd an. Saker konnte es nicht glauben. Dieser Junge war doch erst vor wenigen Tagen von den Männern des Kriegsherrn getötet worden! Er hätte nach Rache dürsten müssen. Wieso stellte er sich dann auf die Seite der Turviter?
Andere Geister schlossen sich ihm an. Eine hochaufgeschossene, bildhübsche blonde Frau in einem altertümlichen Kleid stellte sich neben Flax und schaute gleichmütig. Die knochige Alte, die große Rothaarige und ihr Mann, die Zofe, ein Mädchen, das sich auf Krücken bewegte, und andere folgten ihnen. Sie schienen zu begreifen, dass sie sich auf eine der beiden Seiten stellen mussten. Sie starrten Saker an, und auf ihren Gesichtern spiegelten sich unterschiedliche
Gefühle wider. Es war eine Mischung aus Verachtung, Hass und Furcht.
Verzweifelt wünschte er, er hätte angemessen zu ihnen reden und sie überzeugen können. Dann hätte er ihnen alles erklären
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