Die Hoehle der Traenen
zuhörten und ihre Welt einstürzen sahen. Ranny und die anderen Stadträte aus Turvite lächelten.
Doch dann trat Owl vor, drohte Acton mit dem Schwert und spuckte vor ihm auf den Boden.
Actons Miene, die herausfordernd gewesen war, wies nun Mitgefühl auf. »Ja«, sagte er leise in der alten Sprache. »Ich
habe den Überfall angeführt. Und ich habe getötet.« Er wandte sich den Geistern zu. »Ich bin euer Mörder. Lo, ich verkünde es: Ich war es, der euch das Leben genommen hat. Ich bin hier, um Wiedergutmachung zu leisten – Blut für Blut.« Er wiederholte es in der anderen Sprache, damit es alle verstanden.
»Du hast kein Blut anzubieten«, stellte Thegan fest.
Acton wandte sich ihm langsam zu. Thegan wich einen Schritt zurück.
»Hättet Ihr nicht Sakers Dorf zerstört, Thegan«, sagte Safred, »dann wäre das alles hier gar nicht geschehen. Mir scheint, als wäre es an Euch, Blut für Blut zu bieten.«
Saker war nicht im Stande, das, was Acton gesagt hatte, in sich aufzunehmen. Er war nicht verantwortlich für die Kriegsherren? Spielte das denn überhaupt noch eine Rolle? Er hatte zugegeben, dass er verantwortlich für den Überfall war. Wer war dann tatsächlich verantwortlich? »Das Blut muss freiwillig geboten werden«, sagte Saker wie im Traum.
»Ich biete gar nichts«, widersprach Thegan. »Alles, was ihr von mir bekommt, müsst ihr euch holen.«
Ich werde es freiwillig geben, überlegte sich Saker. Sich zu schneiden war ein Opfer, das er nur zu gerne darbrachte. Nur die Vergangenheit wusste, wer für das System der Kriegsherren verantwortlich war. Doch Thegan, das wusste er mit Sicherheit, war der Mörder all derer, die ihm lieb und teuer gewesen waren. Er machte einen Schritt nach vorn, woraufhin Thegan sich bückte, ein Messer aus seinem Stiefel zog und damit auf ihn losging. Blitzschnell, messerscharf. Einer der Offiziere machte einen Satz, Ash trat rasch vor und zog selbst sein Messer. Doch sie kamen beide zu spät. Noch während Thegan auf ihn losging, warf sich Zel mit akrobatischer Geschmeidigkeit zwischen die beiden, und die
für Sakers Herz bestimmte Klinge fuhr ihr in den Nacken. Die beiden Männer packten jeweils einen Arm von Thegan. Doch der wehrte sich gar nicht, sondern wandte sich lediglich dem blonden Offizier zu und sagte: »Du Narr. Du hättest ihn leichter als ich töten können, dann wäre das hier jetzt vorbei.«
Saker gab einen gequälten Laut von sich. Ihm war, als hätte ihm das Messer das Herz aufgeschnitten. Er fing Zel, die zu Boden fiel, auf, während das Blut pulsierend aus der Wunde sprudelte. In diesem Moment stellte sich Safred neben sie, sank wie unter Zwang auf die Knie und legte ihre Hand auf Zels Brust. Mit plötzlicher Hoffnung schaute Saker auf, doch Safred schüttelte den Kopf. Zels Bruder war zu Boden gesunken und vergrub das Gesicht in seinen Händen.
Zels Blut floss erst langsamer und hörte dann ganz auf zu fließen. Es ging schnell, dachte Saker, schnell und schmerzlos, und er klammerte sich an diesen Gedanken, um die Tränen aufzuhalten, die mit Macht in ihm emporstiegen.
Saker bettete Zel vorsichtig auf den Erdboden und stand auf. Seine Miene war ausdruckslos. Seine Hände waren blutbefleckt, und er starrte sie an und hob sie dann beide, um sich Stirn und Wangen mit Streifen ihres Bluts zu beschmieren. Mit der ganzen Kraft seines Willens wollte er, dass sie auferstand und zu ihm stieß, wünschte es so sehr, wie er noch nie in seinem Leben etwas gewünscht hatte.
Sie erwachte sofort, stellte sich neben ihn und lächelte Thegan an.
»Dieses Verbrechen wurde auf dem Boden von Turvite begangen«, sagte Ranny hastig, um ihm zuvorzukommen. »Dafür wird er bestraft werden und hängen.«
Saker richtete seinen Blick auf sie. Er war nicht in der Lage, zu denken oder etwas zu fühlen. Er nahm Zels kalte
Hand und blickte Acton an. »Blut ist nicht genug«, sagte er. Er hörte, dass seine Stimme wie die eines Wahnsinnigen klang, flach, ausdruckslos, leer. »Du weißt nicht, wie viel Schmerz du verursacht hast. Du bietest Blut, aber du bietest nicht Reue.« Er schwang seine Hand in einem weiten Bogen, und sein Herz schien ihm die Brust zu sprengen. Ihm war, als würde er sterben, und er hieß dieses Gefühl willkommen. Er wollte sterben. Wollte bei ihr sein. Jeder Geist hier hatte so empfunden, hatte erlitten, was er nun erlitt. »Schau sie alle an!«, flüsterte er. Die Stille war so intensiv, dass die Worte über das gesamte Felsplateau hallten.
Weitere Kostenlose Bücher