Die Hoehle der Traenen
Sprache, welche die Menschen benutzt hatten, die Acton überfallen hatte. Flax hatte keine Ahnung gehabt, dass sie überdauert hatte. Jedenfalls hatten seine Eltern sie ihm nie beigebracht.
Dann wandelten sich die Worte in seine eigene Sprache, so als übersetzte Swallow.
Wasser, Feuer, Erde und Luft,
Geister leben und Geister sterben.
Flamme auf dem Berg,
Wind entlang des Himmels,
Wasser, dunkel und traumlos,
Erde, in der wir liegen.
Wasser, Feuer, Erde und Luft,
Blut ist unvergänglich.
»Hier sind wir besser dran«, bemerkte der alte Mann, als Swallow die letzte Note gesungen hatte.
»Aber wir müssen auf den Moment vorbereitet sein«, wandte Flax ein, »in dem wir nicht mehr besser dran sind.«
»So reden junge Leute«, warf der Mann ein. Nun konnte Flax ihn deutlich erkennen; es handelte sich um einen sehr alten Mann, halb gebeugt vom Rheumatismus. »So reden junge Leute, so sterben junge Leute.«
Das war eine Redensart der Wanderer, und sie entsprach der Wahrheit. Hier und da wurde gekichert.
»Manchmal ruht ein alter Kopf auf jungen Schultern«, sinnierte Reed, woraufhin Flax lachte.
Ein Kind fing an zu weinen und weckte damit erst ein anderes und dieses dann alle schlafenden auf.
Ächzend stand eine Frau auf, um sich um ihr Kind zu kümmern, und nun zerfiel die Versammlung in Familien. Eine Reihe von Menschen steuerten die Latrinen an.
Flax gesellte sich zu Oak, Vi und Reed in einer Ecke des Raums, um Pläne zu schmieden.
Oaks Geschichte
Ich kann eine Mauer aufrichten, die tausend Jahre lang steht. Ich habe sie gesehen. Umfriedungen, die zu Actons Zeiten gebaut wurden und immer noch überdauern, sich durch das Land schlängeln wie ein Wasserlauf. Aber eine gerade Mauer, die von Bestand sein wird, kann man nicht bauen. Man muss der Beschaffenheit des Geländes folgen, muss ein Gefühl für den Erdboden in der Umgebung bekommen und die Mauer dann dort errichten, wo sie auf sicherem Untergrund steht. Errichte eine gerade Mauer, und sie wird im folgenden Frühjahr einstürzen, wenn das Grundwasser durch die Schneeschmelze dagegendrückt; sie wird sich ausbeulen, wenn die Baumwurzeln sich ihren Weg durch die Risse im Grundgestein bahnen, um zu den darunter liegenden Flüssen zu gelangen; sie wird sich langsam zu Tode schütteln, in der Hitze und Kälte und Hitze von Sommer und Winter und Sommer, immer wieder, und die Felsen werden wahrscheinlich brechen und auseinanderbersten – die Mauer muss diese Felsen zusammenhalten, damit sie, selbst wenn diese brechen, noch immer hält. Mit einer geraden Mauer geht so etwas nicht.
Errichte eine gerade Mauer, und du wirst sie Jahr für Jahr reparieren müssen. Das macht den größten Teil meiner Tätigkeit aus, gerade Mauern zu reparieren. Also sollte ich mich wohl nicht über sie beschweren.
Bei Fels weiß ich, woran ich bin. Ich kenne meinen Granit
und meinen Schiefer, Sandstein und Blaustein, Basalt und Kalkstein. Je härter, desto besser. Nichts kommt an eine Granitmauer heran. Gar nichts.
Aber Menschen … Ich habe keine Ahnung von Menschen. Das war noch nie anders. Wie bei meinem Vater, sagte Mama. Genau wie er. Das ist für mich in Ordnung. Mein Vater war ein guter Arbeiter. Ich habe noch nie einen Mann gesehen, der mit so wenig Ausschuss eine Mauer hochziehen kann. Er konnte sogar noch für einen Steinsplitter die richtige Ritze finden – für Kalktuff oder sogar Schlacke, Steine, die kaum diesen Namen verdient haben. Er hat es mich gelehrt. Dabei hat er nie viel geredet. Das brauchte er auch nicht. Eine Mauer baut man Stück für Stück, und man kann dazu nicht viel sagen, was man nicht besser zeigen könnte.
Er hat mir auch Steinmetzarbeit beigebracht, mit Mörtel zu arbeiten, sogar mit Ziegeln. An manchen Orten gibt es einfach keinen Stein. Dank Papa kann ich so gut wie alles bauen.
Also hat es mir nie etwas ausgemacht, Menschen gegenüber unbeholfen zu sein. Mein Vater hat meine Mama gefunden, und so dachte ich, eines Tages würde auch ich ein Mädchen finden, das keinen Schwätzer haben will, und sie würde liebenswert sein.
Und das hätte ich vielleicht, hätte ich vielleicht wirklich gekonnt, wenn ich nicht vorher Faina kennen gelernt hätte.
Natürlich hatte ich immer geglaubt, ich würde ein Wanderermädchen kennen lernen. Wen sonst? Ich bin kein Narr, der sich verprügeln lässt oder Schlimmeres, weil er sich für etwas Besseres hält. Und wann begegnete ich überhaupt anderen Mädchen? Beim Mauern hat man mit dem Mann des Hofes
Weitere Kostenlose Bücher