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Die Hölle von Tarot

Die Hölle von Tarot

Titel: Die Hölle von Tarot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Piers Anthony
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Wieder raschelte Papier. Er wirkte verärgert. „Jetzt versuche ich es einmal mit einem Schuß ins Blaue. Vermutlich fand das verdrängte Schlüsselerlebnis für Ihr Leben in der Kindheit statt, irgendwo bei den Pflegeeltern. Ich glaube, es ist eine Frau im Spiel, aber wahrscheinlich nicht in einem sexuellen oder rassischen Zusammenhang. Ich möchte also einen Tag aus Ihrem Leben – im Alter von acht Jahren.“
    Paul mußte urinieren. Er wollte weiterschlafen, weil es dort in dem Nebengebäude kalt war und des Nachts außerdem unheimlich, denn es konnten Stachelschweine herumlaufen. Wenn ein Hund etwas nicht zweimal tat, dann hinter einem Stachelschwein herlaufen – das erste Mal die Nase voll von den höllisch stechenden Stacheln zu haben reichte vollauf. Besser war es, einfach durch die Hintertür in den Schnee nach draußen zu pinkeln. Aber – er mußte einfach nötig, und so stand er schläfrig auf und fand die Luft gar nicht sonderlich ungemütlich, gar nicht kalt, obwohl Winter war. Er ging den Flur entlang – und er führte in ein modernes, gekacheltes Badezimmer mit richtiger Toilette. Wie hatte er das nur vergessen können? Er stand vor dem Klo und schlug sein Wasser ab. Das Gefühl war unendlich erleichternd; es floß und floß und schien kein Ende zu nehmen, sondern an Volumen noch zuzunehmen.
    Dann spürte er etwas Sonderbares. Sein Körper fühlte sich naß an, als stünde er bis zur Taille in einer warmen Badewanne. Doch man konnte nichts sehen. Er kämpfte gegen das Gefühl an, aber es ließ sich nicht abschütteln. Langsam und entsetzt wurde er sich der Realität bewußt. Er befand sich wirklich in einer Lache. Lag darin. Denn er befand sich immer noch in seinem Bett und hatte geträumt. Nur das Pinkeln nicht.
    Wie immer hatte er ins Bett gemacht. Er öffnete die Augen. Es war dunkel. Es war noch tiefe Nacht. Zu früh, um aufzustehen. Nun, eigentlich hatte er es recht angenehm; die Gummiunterlage verhinderte, daß die Flüssigkeit weiter in die Matratze drang, so daß er in seinem warmen Bad blieb. Solange er die Decke trockenhielt, war alles gut.
    Ihm fiel ein, wie das vor zwei Jahren angefangen hatte. Er war zur Beobachtung ins Krankenhaus gekommen, und nach fünf Tagen dort fühlte er sich so angespannt, daß er niemals ins Bett machte, auch wenn man vergaß, ihm die Bettpfanne zu bringen, manchmal sogar vierundzwanzig Stunden lang. Eines Morgens war er wach geworden und hatte ein halbes Dutzend Krankenschwestern beobachtet, die vor seiner Tür die Köpfe zusammensteckten und aufgeregt miteinander flüsterten. Redeten sie etwa über ihn? „Sagt ihm nichts …“ Aber die weiteren Worte waren nicht zu verstehen. Man hörte verlegenes Gelächter wie bei den Mädchen mit der Wäscheklammer, nur daß diese hier große Mädchen waren. „So wie ich das mache …“ Was nur? „Einfach reinschieben.“ Bestimmt keine Wäscheklammer! Plötzlich aber fiel ihm wieder ein: Dies hier war ja ein Krankenhaus. Sie planten eine heimliche Operation. Sagt es nicht dem Patienten, denn sonst klettert er aus dem Fenster und flieht. Nehmt einfach das Messer und steckt es rein.
    Paul lag im Bett in kalten Schweiß gebadet, der Urin ähnelte. Sie würden ihn aufschneiden. Man hatte ihm versichert, er würde nur beobachtet (was schon schlimm genug war) – aber das hatten sie vor seinem ersten Zahnarztbesuch auch gesagt. Erwachsene hielten es für richtig, Kindern gegenüber zu lügen, ‚weil sie deren Bestes wollten’, was gewöhnlich etwas Unangenehmes oder Schmerzhaftes bedeutete. Es bedeutete, daß man Erwachsenen niemals trauen konnte.
    Aber die Krankenschwestern zerstreuten sich und ließen ihn mit seinen Gedanken allein. Wenn nicht jetzt, wann dann? Den ganzen Tag lang duckte er sich in sein Gefängnis, das Bett, und wartete darauf, daß es losginge. Er hatte keinen Appetit mehr. Er verlor das Interesse an den Spielen, die es dort gab, an seinem Buch, seinen Malereien. Was sollte das alles angesichts dieser schrecklichen Bedrohung?
    Schließlich wurde er entlassen. Das Urteil des Arztes lautete: Ihm fehlte gar nichts. Annahme: Er könnte mit dem Bettnässen aufhören, wenn er wollte. Daher ermutigte man ihn, damit aufzuhören. Jeden Tag mußte er seine Laken selber waschen. Niemand benutzte das Wort ‚Strafe’, aber die Bedeutung war klar: Wenn du diese schrecklichen Sachen weitermachst, dann halte dich auch selbst sauber. Irgendwie versagte diese Methode. Paul brauchte keine besondere Motivation; er

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