Die Hölle von Tarot
der drohenden Lanze aus. Er wandte sich zur Linken, seine Rechte legte sich auf die rechte Hand des Soldaten und preßte sie an dem Stab fest. Nun stand er neben dem Soldaten, beide Hände zusammen mit denen des anderen am Stab. Bruder Paul bückte sich, setzte einen Hebegriff an – und der Söldner flog über Bruder Pauls rechte Schulter, um hart auf dem Weg zu landen. Nicht zufällig blieb die Lanze in Bruder Pauls Hand.
„Tut mir leid“, sagte er in holprigem Deutsch. „Ich dachte, Ihr wolltet mich angreifen.“ Er wollte es so friedfertig wie möglich ausdrücken.
Doch nun umringten ihn die anderen Soldaten mit gezückten Messern. Sie sahen in Mienen und Haltung häßlich und bedrohlich aus. „Wer bist du, Schurke?“ fragte einer von ihnen herausfordernd.
„Nur ein Reisender auf dem Weg nach Worms“, gab Bruder Paul unschuldig zurück.
„Wer ist dein Herr?“
Sie hielten ihn für einen Diener. „Ich habe keinen Herrn. Ich bin nur auf der Suche nach dem Kartenspiel Tarot …“
Die Soldaten tauschten Blicke untereinander aus. „Hört sich für mich wie ein Ketzer an“, sagte einer von ihnen, und die anderen nickten zustimmend. „Kein Beschützer, und er läßt sich mit aufrechten Soldaten ein – bringen wir ihm bei, wo sein Platz ist.“
Ach du liebe Güte. Bruder Paul blickte sich um, aber es gab kein Entrinnen. Sie hatten ihn in der Falle und führten Böses im Schilde. Mit der Rache hatten sie nur so lange gewartet, bis sie sicher wußten, daß kein mächtiger Edler, der diesen Fremden vielleicht auf eine Reise geschickt hatte, Vergeltung fordern würde. Wenn Bruder Paul versuchen würde zu fliehen, würde ihn ein schmutziges Messer erstechen. Wenn er kämpfte – ebenfalls. Besser, ihre Strafe hinzunehmen – und beim nächsten Mal vorsichtiger zu sein.
„Wir werden ihn verprügeln“, entschied der Anführer, der sich den Staub abklopfte. Bruder Paul hatte ihn nicht mit voller Kraft niedergeworfen, und sein Sturz war vom Boden weich aufgefangen, so daß er keine Verletzungen erlitten hatte. „Zieht ihn aus!“
Grobe Hände rissen Bruder Paul die Kleider herab, während einer der Männer eine grausam aussehende Peitsche vom Gürtel löste. Das würde nicht schön werden!
Sie rissen das letzte Kleidungsstück herab – und hielten inne. „Er ist beschnitten!“ rief einer.
„Muß ein Sklave sein, von einer Galeere entflohen – oder aus einem Kloster. Laßt uns ihn lieber töten und ihm die Ohren abschneiden – vielleicht gibt es eine Belohnung.“
„Erst die Ohren abschneiden“, schlug ein anderer vor. „Ich will mal hören, wie ein Kastrierter schreit!“
Jetzt erkannte Bruder Paul, daß er kämpfen mußte. Er hatte keine andere Wahl. Es handelte sich hier um brutale Männer, denen ein Menschenleben billig war und die keine Gnade kannten. Indem sie andere schlugen und umbrachten, versuchten sie, ihr trauriges Los zu erleichtern. Der Anführer sah wie Therion aus. Bruder Paul wappnete sich und beobachtete die Position eines jeden einzelnen. Wenn er einen ergriff und gegen zwei andere schleuderte …
„Was ist hier los?“ fragte eine neue Stimme.
Alle drehten sich verdutzt um. Es war ein Priester in schwarzer Kutte. Ein silbernes Kreuz glänzte an seinem Hals. Selbst ohne seine Kleidung hätte sein Auftreten jeden eingeschüchtert. Es war, als glitzere ein besonderes Licht aus seinen stahlblauen Augen.
„Nichts, Vater“, sagte der Anführer. „Wir haben diesen Schurken gefangen und …“
„Einen Ketzer“, warf ein anderer ein.
„Erlaubt mir zu urteilen, was hier wichtig ist und was nicht und wer ein Ketzer ist“, sagte der Priester ernst. Seine hellen Augen blitzten Bruder Paul wie von großer Höhe aus an. Mit zwei Fingern rieb er sich die Nase und blinzelte dabei anerkennend. „Seid Ihr nicht ein Eunuch des Apostels?“ frage er dann.
Bruder Paul war zu verdutzt, um eine rasche Antwort geben zu können.
Der Priester machte eine befehlende Handbewegung. „Die Heilige Kirche will diesen Sünder. Kleidet und bindet ihn. Ich werde ihn selber nach Worms bringen.“
„Ja, Pater“, stimmte der Anführer besiegt zu. „Aber werdet Ihr allein mit ihm fertig werden? Wir könnten ihn für Euch richtig binden. Er ist ein grober …“
Der Priester starrte auf den Mann herab. Seine aristokratische Miene kräuselte sich zu so etwas wie einem spöttischen Lächeln. „Deine Zunge sitzt recht locker, Untertan. Ist sie vielleicht zu lang?“
„Pater, ich
Weitere Kostenlose Bücher