Die Hölle von Tarot
ungebildeten Bauern. Es sind gute Menschen, aber sie könnten die Bibel gar nicht lesen, selbst wenn es ihnen gestattet wäre, eine zu besitzen. Selbst wenn sie aus dem Lateinischen in ihre Sprache übersetzt würde. Was aber soll eine nicht lesbare, nicht zugängliche Schrift Gottes? Aber wir wagen es nicht, die Bibel oder sonst irgend etwas, das uns an das Heilige Amt verraten könnte, bei uns zu tragen. Daher benutzen wir diese kleinen Bilder, deren wahren Charakter wir vor den Untertanen der Kirche zu verbergen wissen.“
Und der Gaukler zog einen Stapel verschmutzter Bilder hervor. Bruder Paul ging neben seinem Freund her, betrachtete sie und war erstaunt – denn sie waren den Größeren Arkanen des Tarot ähnlich. Plötzlich merkte er, daß Satan seinen ersten Wunsch erfüllte: Information über den wahren Ursprung und die Bedeutung des Tarotspiels. „Genau das ist es … was ich suche!“ rief er.
„Als Ihr das Tarot erwähntet, war ich sicher, es handele sich um eine Falle“, gab der Gaukler zu. „Aber ganz sicher war ich nicht. Und auf Grundlage eines bloßen Verdachtes konnte ich dich nicht verachten, denn so handelt die Inquisition, die wir verabscheuen.“ Traurig schüttelte er den Kopf. „Was für eine Welt, wenn ein Mensch dem anderen vertrauen könnte und auch ihm würde vertraut! Ist das so in deiner Welt?“
„Nein“, antwortete Bruder Paul. „Noch nicht.“
„Wir verstecken unsere Predigten an einem Ort, an dem das Heilige Amt es niemals vermuten würde: in einem Kartenspiel, das die Spieler und reichen Taugenichtse spielen“, sagte der Gaukler und gab Bruder Paul den Rest des Spieles. „Das sind die geringeren Karten des großen Spiels, und das Ganze nennen wir Tarot oder Tzwarot, König der Karten. Wir haben die geringeren Karten nicht verändert, aber symbolisch unseren Zwecken angeglichen. Jede der fünf Farben repräsentiert …“
„Fünf Farben?“ fragte Bruder Paul verdutzt.
„Einige dieser Spiele haben sechs, andere vier – es scheint eine gehörige Vielzahl an Zahlen und Symbolen zu geben, denn jeder Drucker oder Kopist erfindet für sich etwas Neues. Wir meinen jedoch, die richtige Anzahl ist fünf, weil es die fünf Grundelemente darstellt, von denen die Alten lehren.“
„Die Alten!“ wiederholte Bruder Paul und dachte an etwas, das der Außerirdische Antares erzählt hatte. Vor drei Millionen Jahren hatte eine galaxisweite Zivilisation existiert und war wieder verschwunden.
„Die Sumerer, die Ägypter, die Minoer, die Eblanen, die Hethiter, die Griechen, die megalithische Gesellschaft – alle alten Völker, die soviel mehr wußten, als die Geschichte ihnen zuschreibt“, fuhr der Gaukler fort, und in diesem Moment erschien es tatsächlich, als würde Antares traurig aus den Augen des Gauklers lächeln.
„O ja, gewiß.“ Wenn dies auch eine Animation war, so schien es doch wichtig, keinen Anachronismus zuzulassen. Doch da war noch etwas anderes. „Fünf Elemente? Feuer, Wasser, Luft, Erde und …?“
„Und Geist“, ergänzte der Gaukler leise. „Das, was den Menschen vom Tier unterscheidet. Der Mensch hat Bewußtsein; der Mensch kann Gut und Böse unterscheiden. Der Mensch aß vom Baum der Erkenntnis und erhob sich dadurch über das unwissende Tier. Einige halten dies für einen Fluch – wir halten es für die wichtigste Eigenschaft.“
„Geist“, wiederholte Bruder Paul anerkennend. Es schien, als habe er dies immer schon gewußt. „Das ist es, was den Menschen vom Tier trennt.“
„Die anderen Farben kann man auf verschiedenen Ebenen interpretieren“, fuhr der Gaukler fort. „Als Tugenden oder Klassen der Gesellschaft oder Charaktereigenschaften. Es gibt den Stab der Tapferkeit – oder den des Bauern. Den Kelch der Treue – oder der Kirche.“ Er zog ein Gesicht. „Gutes bekommen die Bauern von der korrupten etablierten Kirche nicht! Dann gibt es noch das Schwert der Gerechtigkeit – oder des Militärs.“
Er lächelte über Bruder Pauls Gesichtsausdruck; in seiner eigenen Epoche hatte es zwischen Militär und Gerechtigkeit keine Verbindung gegeben. „Die Münze der Mildtätigkeit – und des Händlers. Und natürlich die Lampe des Geistes und der wandernden Seele, die denen das Licht bringt, die bereit sind, es zu empfangen.“
„Also die Waldenser“, meinte Bruder Paul und schüttelte den Kopf.
„Oder alle guten Menschen, welchen Glaubens auch immer, die ihrem Gewissen folgen und nach Wahrheit und Liebe streben“, fügte der
Weitere Kostenlose Bücher