Die Hölle von Tarot
existieren. Meine Güte, wie viele Narren hatten mit dem Tarot her umgespielt.
Doch zurück zur Wahl: „Man kann nicht zugleich Gott und dem Mammon dienen. Reichtum und Weltlichkeit sind vielleicht recht verführerisch, doch ihre Verdienste sind rein oberflächlicher Art. Das Böse erscheint oft mit schönem Antlitz – aber es bleibt doch das Böse.“ Er selber war durch dieses schöne Antlitz in Form eines bestechenden Verstandes getäuscht worden, als er Therion in der ersten Animation als Führer wählte. Welch einen Preis hatte er für diesen Irrtum bezahlt! Doch es hatte ihn auch zur tiefsten Demütigung gezwungen, ohne die er nicht so weit gekommen wäre. Nach Kompost roch eben alles andere besser. „Wählt nicht die Liebe zum Besitz statt der Liebe zu Gott! Schenkt Herz und Seele Jesus Christus. Widmet euch dem Guten!“
Ein leiser Seufzer unterbrach ihn. Man hätte ihn eigentlich bei dem allgemeinen Gemurmel kaum hören können, doch in seinen Ohren klang er wie Schalmeienklang. Das kranke Kind!
Er brach ab, ging hinüber zu dem Kind und nahm die kleine, schmale Hand hoch. „Wähle nicht den falschen Weg“, murmelte er. Der übrige Raum versank um ihn. „Komm hervor zum Licht. Wir lieben dich!“
Ein Zittern durchlief ihren Körper. Die Lider zuckten. Aber sie erwachte nicht.
Bruder Paul verspürte eine schreckliche Vorahnung. Wenn er sie jetzt nicht aufwecken konnte, würde es ihm nicht mehr gelingen, weil sie sowohl aus dieser Rolle als auch aus dem Leben verschwinden würde. Ob sie die Anstrengung der drei Animationen letztendlich erschöpft hatte oder ob sie körperlich einfach so beschaffen war, daß sie mit ihrer Rolle starb – sie lag jedenfalls im Sterben.
Er konnte sie nicht loslassen. Vor den Animationen hatte er sie nicht gekannt, und er kannte sie auch nur als junge Kolonistin, die ihre Rollen spielte. Aber irgendwie war er sich sicher, daß es eine Carolyn gab oder geben würde – seine Tochter. Sie würde sterben – oder niemals existieren –, wenn sie jetzt von ihm ging. So lächerlich es war, an dieses Gefühl zu glauben, so konnte er sich doch nicht davon lösen.
„Hübsches Kind“, murmelte er zu jenem kostbarsten Wesen, das er kannte, und nahm nichts mehr um sich herum wahr. „Du kannst nur leben, wenn jemand an dich glaubt. Ich glaube an dich. Jemand muß dich lieben. Ich liebe dich. Jemand muß dich brauchen. Ich brauche dich. Wenn du weiterlebst, werde ich mit dir gehen, wo auch immer der Geist uns hintreibt. Du bist meine Zukunft. Ohne dich gibt es keine Liebe für mich. Mein Leben wird leer sein. Du mußt um meinetwillen aufwachen.“ Und er legte ihr beide Hände an die Wangen, umfaßte das Gesicht zärtlich, streichelte das zerzauste Haar und küßte sie auf die Stirn. Tränen traten ihm in die Augen, und als er sich über sie beugte, fielen sie herab auf ihre bleichen Wangen.
Er spürte eine Kraft in sich aufsteigen wie einen magnetischen Strom. Es war die Aura. O Gott, betete er still. Wenn ich über Heilkraft verfüge, dann laß mich sie heilen.
„So viel Fürsorge“, murmelte die alte Frau, „einem Kind gegenüber, das er nicht einmal kennt.“ Sie sprach mit Ehrfurcht, nicht zynisch.
„Der barba strahlt die Liebe aus, von der er redet – die Liebe zu Gott“, sagte ein anderer.
Wenn das nur gestimmt hätte! Bruder Paul schien Satan viel näher zu stehen als Gott. Er hatte mit Satan einen Handel geschlossen, um Carolyn vor der Hölle zu retten – hatte jedoch nicht daran gedacht, sie vor dem Tod zu bewahren. Das war das Unwägbare bei einem Handel mit dem Teufel; niemand war dieser schrecklichen, bösen Intelligenz überlegen. Wenn ihm Satan seinen Wunsch nach Information über das Tarot gewährt hatte – verlangte er dann als Preis seinen Freund Lee und das Kind Carolyn?
Irgendwie wollte er dies nicht glauben. Konnte es nicht glauben. Er mußte Satan, wie Gott auch, soweit vertrauen, daß er sein Wort hielt. Satan konnte die Seelen nicht richtig beurteilen, wenn er selber korrupt war. So mußte dies eine weitere Prüfung sein, keine Strafe. Vielleicht bot man Bruder Paul eine weitere Chance, sein eigenes Wohlergehen auf ihre Kosten zu verbessern. Er brauchte sie nur sterben zu lassen und mit seinem Wissen über das Tarotspiel in die Welt zurückzukehren.
„Wach auf“, murmelte er verzweifelt. „So viel Leben wartet auf dich! Denk an all die Blumen, die Tannen, die hübschen Steine.“ Fast hätte er ‚Flugzeuge’ gesagt, korrigierte sich
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