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Die Hölle von Tarot

Die Hölle von Tarot

Titel: Die Hölle von Tarot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Piers Anthony
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es inzwischen nicht einmal etwas ausmachen, gegebenenfalls einen Bischof zu verkörpern!
    Er kam in ein anderes Dorf. Doch ehe er seine Vorstellung beginnen konnte, kam ein Kind herbeigelaufen. Kinder schienen die allgegenwärtigen Boten zu sein, vielleicht, weil sie noch nicht in das Arbeitssystem eingebunden waren. „Gaukler … der Herr hat Verdacht geschöpft … du mußt weiterziehen!“
    Bruder Paul stellte keine Fragen. Beim Treffen am gestrigen Abend konnte ein Spion beteiligt gewesen sein. Ein Reiter konnte ihm in der Nacht vorausgeeilt sein, um die Kunde von dem ketzerischen Missionar zu verbreiten. Er packte sogleich seine Sachen zusammen und verließ das Dorf. Er war erschöpft – aber hier mochte er nicht bleiben.
    Er ging aus dem Dorf hinaus – wußte aber nun nicht recht, was er tun sollte. Er hatte seit einigen Stunden nichts mehr gegessen, wenn ihn auch noch kein echter Hunger quälte. Er war müder, als er es eigentlich hätte sein sollen, und der Gedanke, wieder in einer Astgabel zu schlafen, erfreute ihn nicht. Aber wenn das Dorf nicht sicher war …
    Der Weg führte einen Berg hinauf – und dort auf der Höhe, unheimlich in der herabfallenden Dämmerung, stand ein Galgen. Ein Mann arbeitete dort. Er nahm das Seil ab. Als er Bruder Paul erblickte, rief er: „Zu spät! Du hast es verpaßt. Er ist schon gehängt, herabgenommen und gevierteilt worden!“
    Bruder Paul blieb stehen. Er fühlte sich ohnehin nicht gut, und dies verbesserte sein Befinden auch nicht gerade. Da er selber unter Verdacht stand, konnte er seine Abneigung nicht offen ausdrücken. „Mein Weg war lang.“
    „Du hättest dich beeilen sollen.“ Der Mann fuhr sich mit der Zunge über die Lippen wie in Erinnerung an den Geschmack. „Es war ein Anblick! Eine ganze Minute lang hat er mit den Beinen gestrampelt. Aber es war für ihn zuviel. Ich hätte ihn auch lebendig gevierteilt. Hat dem Herrn das beste Pferd gestohlen und es halb zuschanden geritten … den sind wir los.“
    So hatte man also einen armen Bauern dafür gehängt, daß er ein Pferd gestohlen hatte! Nun, so sah die Gerichtsbarkeit im Mittelalter aus; Pferde waren wertvoll.
    „Aber bleib in der Gegend“, fuhr der Mann fort. „Wir haben fast jede Woche eine neue Schau. Meistens Hängen am Fuß, aber manchmal ist es gar nicht schlecht. Sie …“
    „Hängen am Fuß?“ Irgend etwas ließ Bruder Paul aufmerksam werden.
    „Genau. Für kleinere Delikte, wie Mord an einem Bauern oder mit einer Hexe schlafen.“ Der Henker lachte rauh, aber Bruder Paul war sich nicht sicher, ob es humorvoll war. „Hänge ihn an einem Fuß auf und laß ihn einen Tag lang baumeln. Einige sind zäh; sie scheinen es kaum zu bemerken. Aber andere schreien aus Leibeskräften, und andere sterben ohne Regung.“
    An einem Fuß aufhängen. Jetzt merkte Bruder Paul, was seine Neugier auf sich gezogen hatte. Einer der Trümpfe des Tarotspiels hieß ‚Der Gehängte’, und dieser Mann hing an einem Fuß. Er hatte die Karte zuvor anders interpretiert, doch natürlich hing es mit dieser grausamen mittelalterlichen Folter zusammen. Das Tarot spiegelte das zeitgenössische mittelalterliche Leben wider. Wie oft war in den folgenden Jahrhunderten diese Karte fehlinterpretiert worden!
    Bruder Paul schüttelte den Kopf und ging weiter. Er fühlte sich noch schlechter. Aber der Galgen war kaum außer Sichtweite, als er etwas anderes hörte. Ein Pferd!
    Er verließ rasch den Weg. Vielleicht bedeutete es keine Gefahr, doch das Risiko konnte er nicht eingehen. Selbst wenn er die Rolle des barba nur spielte, hatte er sich doch ketzerisch betätigt, und das richtete sich gegen das, was die mittelalterliche Kultur das ‚Wort Gottes’ nannte – eine ernste Angelegenheit.
    Der Reiter verschwand. Bruder Paul seufzte erleichtert und kehrte auf den Weg zurück. Er würde so weit gehen, wie er bei Tageslicht kam, und sich nach einem guten Platz umsehen, an dem er schlafen konnte.
    Seine Lende tat weh. Er blieb stehen, um sie zu untersuchen, und hegte einen Augenblick lang die wilde Hoffnung, daß seine Genitalien wieder neu wüchsen. Dies war jedoch nicht der Fall; er fand lediglich eine Art Schwellung in der Leistengegend, vielleicht die Lymphknoten. Das Gehen fiel ihm nun schwer. Als hätte er nicht schon Probleme genug, ohne Essen und Wasser …
    Wasser. Plötzlich überfiel ihn ein wahnsinniger Durst. Gab es vielleicht eine Quelle in der Nähe? Der Pfad verlief nicht mehr an dem großen Fluß entlang,

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