Die Hofnärrin
aufzuwachsen.«
Ich wusste, dass sie in diesem Moment über sich selbst sprach,
über ihre Mutter, die auf dem Schafott gestorben war, nachdem man sie
als Hexe, Ehebrecherin und Hure bezeichnet hatte. Doch sie schob den
Gedanken beiseite. »Aber was brachte dich dazu, nach England zu gehen?«
»Wir haben Verwandte hier. Und mein Vater hat eine Ehe für
mich arrangiert. Wir wollten ganz von vorne anfangen.«
Sie betrachtete lächelnd meine Hosen. »Weiß dein Verlobter,
dass er ein Mädchen bekommt, das ein halber Junge ist?«
Ich zog einen Schmollmund. »Er mag es nicht, dass ich bei Hofe
bin, er mag mich nicht in Livree sehen, und er mag meine Hosen nicht.«
»Aber du – magst du ihn?«
»Als Cousin ganz gern. Doch nicht genug für einen Ehemann.«
»Und bleibt dir eine Wahl?«
»Kaum«, sagte ich knapp.
Sie nickte. »Es ist doch für alle Frauen das Gleiche«, sann
sie mit einer Spur Groll in der Stimme. »Die einzigen Menschen, die im
Leben eine Wahl haben, sind diejenigen, welche die Hosen anhaben. Du
tust ganz recht daran, Hosen zu tragen.«
»Ich werde sie bald genug ablegen müssen«, sagte ich. »Man
erlaubte mir, sie zu tragen, als ich noch ein halbes Kind war, doch nun
soll ich …« Ich besann mich. Ich wollte mich ihr nicht
anvertrauen. Die Prinzessin besaß die Gabe der Tudors, einen zu
Vertraulichkeiten zu ermutigen.
»Als ich in deinem Alter war, glaubte ich, ich würde niemals
zu einer jungen Frau heranwachsen«, sprach sie meine Gedanken aus. »Ich
wollte eine Gelehrte werden, denn wie man das werden konnte, wusste
ich. Ich hatte einen wunderbaren Lehrer, der mir Latein und Griechisch
und alle lebenden Sprachen beibrachte. Ich war darauf aus, meinem Vater
zu gefallen, ich dachte, er würde stolz auf mich sein, wenn ich so klug
würde wie Eduard. Ich pflegte ihm Briefe in Griechisch zu
schreiben – kannst du dir das vorstellen? Am meisten fürchtete
ich, verheiratet und auf den Kontinent geschickt zu werden. Meine
größte Hoffnung war, dass ich eine kluge und gebildete Dame werden
würde und am Hofe bleiben dürfte. Als mein Vater starb, glaubte ich,
nun für immer am Hof bleiben zu können: als Lieblingsschwester meines
Bruders und Tante seiner vielen Kinder – und zusammen würden
wir das Werk meines Vaters vollenden.«
Sie schüttelte den Kopf. »Nein, in der Tat, ich möchte deine
Gabe nicht haben«, fuhr sie fort. »Wenn ich gewusst hätte, dass es dazu
kommen würde: das Missfallen meiner Schwester, der Tod meines geliebten
Bruders, und das verschleuderte Erbe meines Vaters …«
Elisabeth verstummte und wandte sich mir zu, ihre dunklen
Augen standen voller Tränen. Sie streckte mir eine Hand hin, deren
Fläche nach oben gedreht war, und diese Hand zitterte. »Kannst du meine
Zukunft vorhersehen? Wird Maria mich als Schwester begrüßen, weil sie
weiß, dass ich nichts Falsches getan habe? Wirst du ihr sagen, dass ich
im Herzen unschuldig bin?«
»Wenn sie es vermag, wird sie es tun.« Ich nahm die Hand der
Prinzessin, ließ jedoch meinen Blick auf dem weißen Gesicht ruhen, das
so plötzlich blass geworden war. Sie legte sich in die reich bestickten
Kissen zurück. »Wahrlich, Prinzessin, die Königin möchte gern Eure
Freundin sein. Ich weiß das. Sie wäre überglücklich, erführe sie von
Eurer Unschuld.«
Sie entzog mir ihre Hand. »Selbst wenn der Vatikan mich zur
Heiligen ernennen würde, wäre sie nicht zufrieden«, sagte sie bitter.
»Und ich sage dir auch, warum. Es geht nicht darum, dass ich fern vom
Hofe weile, es geht auch nicht um meine Zweifel an ihrem
Glaubensbekenntnis. Es geht um die Eifersucht unter Schwestern. Sie
wird mir nie vergeben, was um meinetwillen ihrer Mutter angetan wurde.
Sie wird mir nie verzeihen, dass ich meines Vaters Schatz und der
kleine Liebling des Hofes war. Sie wird mir nie verzeihen, dass ich die
Lieblingstochter war. Ich kann mich erinnern, wie sie als junge Frau am
Fußende meines Bettes saß und mich anstarrte, als wollte sie mir am
liebsten ein Kissen aufs Gesicht drücken, während sie die ganze Zeit
eifrig Schlaflieder summte. Sie bringt ihre Liebe und ihren Hass
durcheinander. Und sie will gewiss keine jüngere Schwester bei Hofe
haben, die sie aussticht.«
Ich sagte nichts darauf. Ihre Einschätzung war zu
scharfsinnig, um noch einen Kommentar zu benötigen.
»Eine jüngere Schwester, die schöner ist«, fuhr Elisabeth
fort. »Eine jüngere Schwester, die reines Tudor-Blut in sich trägt und
nicht zur Hälfte spanisch
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