Die Hofnärrin
es die Angst war, die ihr im Nacken saß. Sie war krank vor
Angst. Sie wusste, dass sie einem Prozess wegen Hochverrats und dem
sicheren Tod entgegenging.
Wir kamen nur langsam voran. Bei jeder Rast versuchte die
Prinzessin, Zeit zu schinden, und bat um eine längere Pause. Sie
beschwerte sich über das Rütteln der Sänfte, und von Rast zu Rast
schien es ihr schwerer zu fallen, ihre Füße auf den Boden zu setzen, um
die Sänfte zu verlassen, und später wieder einzusteigen. Der Teil ihres
Gesichts, der dem scharfen, kalten Wind ausgesetzt war, wurde rot und
schwoll wieder an. Es war wahrlich kein Reisewetter, kein Wetter, das
einer Kranken wohltat, doch Marias Räte duldeten keinen Aufschub.
Selbst Elisabeths Cousin drängte zur Eile, und die Entschlossenheit der
Männer zeigte Elisabeth ebenso deutlich wie ein Haftbefehl, dass sie
dem Tode geweiht war.
Niemand hätte es gewagt, die nächste Thronanwärterin zu
behandeln, wie sie Elisabeth behandelten. Niemand hätte die nächste
Regentin Englands dazu gezwungen, im Morgengrauen in eine Sänfte zu
steigen und sich über eine gefrorene, holperige Straße zu quälen.
Jeder, der Elisabeth derart behandelte, musste davon überzeugt sein,
dass sie niemals Königin werden würde.
Drei Tage dauerte nun schon die Reise. Es
schien, als sollte sie ewig dauern, da die Prinzessin jeden Morgen
länger ruhte, weil ihre schmerzenden Gelenke es ihr nicht erlaubten,
vor Mittag in die Sänfte zu steigen. Wann immer wir zum Essen
einkehrten, blieb sie endlos lange bei Tische sitzen und stieg nur
widerwillig wieder in die Sänfte. Wenn wir dann endlich zu dem
Herrenhaus gelangten, wo wir die Nacht verbringen sollten, saßen die
Ratsmitglieder fluchend von ihren Pferden ab und stapften wütend in die
Schlafkammern.
»Was glaubt Ihr mit diesen Verzögerungen zu gewinnen,
Prinzessin?«, fragte ich sie eines Morgens, als Lord Howard mich zum
zehnten Male in ihre Kammer geschickt hatte, um zu fragen, wann sie
endlich fertig sei. »Die Königin wird Euch nicht barmherziger gesinnt
sein, wenn Ihr sie warten lasst.«
Elisabeth stand stocksteif da und ließ sich von einer ihrer
Damen in einen Schal hüllen. »Ich gewinne einen weiteren Tag«,
antwortete sie.
»Doch wofür?«
Sie lächelte mich an, wenn auch die Angst ihre Augen
verdunkelte. »Ach, Hannah, du hast niemals so eine Sehnsucht nach Leben
gehabt wie ich, wenn du nicht weißt, dass ein weiterer Tag etwas höchst
Wertvolles ist. Im Moment würde ich alles dafür geben, um einen
weiteren Tag zu gewinnen, und morgen wird es genauso sein. Jeder Tag,
den wir auf dem Weg nach London zubringen, ist ein weiterer Lebenstag
für mich. Jeder Morgen, an dem ich erwachen, jede Nacht, in der ich
schlafen kann, sind ein kleiner Sieg.«
Am vierten Reisetag trafen wir auf einen berittenen Boten, der
einen Brief für Lord William Howard überbrachte. Dieser las das
Schreiben und steckte es in sein Wams, mit einem Mal sichtlich
ergrimmt. Elisabeth wartete, bis er sie nicht mehr ansah, dann winkte
sie mich mit ihrem immer noch geschwollenen Zeigefinger zu sich. Ich
lenkte mein Pferd neben die Sänfte.
»Ich würde einiges darum geben, zu erfahren, was in diesem
Brief steht«, sagte sie. »Geh zu ihnen und horche. Auf dich werden sie
nicht achten.«
Die Gelegenheit kam, als wir eine Rast zur Mahlzeit einlegten.
Lord Howard und die anderen Ratsmitglieder achteten darauf, dass ihre
Pferde gut versorgt wurden. Ich sah, wie der Lord den erhaltenen Brief
aus seinem Wams zog, und blieb neben ihm stehen, tat, als müsse ich
meinen Reitstiefel hochziehen.
»Lady Jane ist tot«, verkündete er. »Wurde vor zwei Tagen
hingerichtet. Kurz zuvor war die Reihe an Guilford Dudley.«
»Und Robert?« Ich schrak hoch, meine Stimme übertönte die
gemurmelten Kommentare der anderen. »Robert Dudley?«
Ein Narr darf sich viel erlauben. Lord Howard quittierte mein
Interesse lediglich mit einem Nicken. Ȇber Lord Robert steht nichts in
dem Brief. Ich nehme aber an, dass er zusammen mit seinem Bruder
hingerichtet wurde.«
Die Welt um mich herum löste sich auf, ich fühlte eine
Ohnmacht nahen. Ich ließ mich auf die kalten Steinstufen sinken und
vergrub das Gesicht in den Händen. »Lord Robert«, flüsterte ich. »Mein
Herr.«
Ich konnte mir nicht vorstellen, dass er tot sein sollte, dass
diese strahlende, dunkeläugige Lebhaftigkeit für immer verschwunden
sein sollte. Es war unmöglich zu glauben, dass der Scharfrichter ihm
den Kopf abschlagen konnte wie
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