Die Hofnärrin
abreisen konnten. So musste
alles wieder ausgepackt werden, da wir einen weiteren Tag blieben. Aber
am nächsten Tag war Elisabeth so erschöpft, dass sie keinen Besuch
empfangen konnte – und ein neuer Reigen nahm seinen Anfang.
An einem solchen Morgen, während die großen Truhen mühselig
auf die Karren geladen wurden, ging ich zu Lady Elisabeth, um zu sehen,
ob ich ihr irgendwie helfen konnte. Sie lag auf einem Ruhebett in einer
Haltung absoluter Erschöpfung.
»Nun ist alles gepackt«, sagte sie. »Und ich bin so müde, dass
ich nicht weiß, ob ich überhaupt reisen kann.«
Ihr Leib war nicht mehr so angeschwollen, aber es ging ihr
noch sichtlich schlecht. Sie hätte allerdings gesünder ausgesehen, wenn
sie ihre Wangen nicht mit Reispuder bestäubt und sogar – das
konnte ich beschwören – die Schatten unter ihren Augen betont
hätte. Sie sah aus wie eine Kranke, welche die Rolle einer Kranken
spielt.
»Die Königin hat befohlen, dass Ihr nach London zurückkehrt«,
mahnte ich. »Gestern ist ihre Sänfte für Euch gekommen. Ihr könnt also
die Reise liegend hinter Euch bringen.«
Sie biss sich auf die Lippe. »Weißt du, ob sie mich nach
meiner Ankunft anklagen will?«, fragte sie mit gedämpfter Stimme. »Ich
bin zwar unschuldig, denn ich habe nie gegen sie intrigiert, aber bei
Hofe gibt es so viele Lügner und Verleumder, die das Gegenteil
behaupten werden.«
»Sie liebt Euch«, versicherte ich der Prinzessin. »Ich glaube,
sie würde Euch sogar jetzt wieder ins Herz schließen, wenn Ihr nur
ihren Glauben annehmen wolltet.«
Elisabeth sah mir mit dem ehrlichen, geraden Blick ihres
Vaters und ihrer Schwester in die Augen. »Sagst du mir auch die
Wahrheit? Bist du ein heiliger Narr oder eine Possenreißerin, Hannah
Green?«
»Keines von beiden«, gab ich zurück und erwiderte ihren Blick.
»Gegen meinen Willen bin ich von Robert Dudley dem König als Hofnarr
übereignet worden. Ich wollte niemals Hofnarr sein. Ich habe die Gabe
des zweiten Gesichts, die mich stets ungebeten überfällt und mich
zuweilen Dinge sehen lässt, die ich nicht einmal verstehen kann. Und
meistens wird mir die Gabe überhaupt nicht zuteil.«
»Du hast hinter Robert Dudley einen Engel gesehen«, erinnerte
sie mich.
Ich lächelte. »Das stimmt.«
»Was war das für ein Gefühl?«
Ich musste kichern, ich konnte mich nicht bremsen. »Lady
Elisabeth, ich war so geblendet von Lord Robert, dass ich den Engel
kaum wahrgenommen habe.«
Sie setzte sich eifrig auf, vergaß die Krankheitspose, und
lachte mit mir. »Er ist sehr … er ist so … er ist
wirklich ein Mann, den man gern betrachtet.«
»Und ich habe ja erst später begriffen, dass es ein Engel
war«, sagte ich zu meiner Entschuldigung. »Doch im ersten Augenblick
war ich einfach nur überwältigt, von Mr. Dee, von Lord Robert und von
dem Dritten.«
»Und bewahrheiten sich deine Visionen?«, fragte sie eifrig.
»Du hast doch für Mr. Dee in den Spiegel gesehen, nicht wahr?«
Ich zögerte, weil ich das Gefühl hatte, gleich werde sich der
Boden unter meinen Füßen öffnen. »Wer hat Euch das erzählt?«, fragte
ich argwöhnisch.
Elisabeth lächelte mich an, und ihre kleinen weißen Zähne
blitzten wie die eines schlauen Fuchses. »Kümmere dich nicht darum,
woher ich das weiß. Sage mir, was du weißt.«
»Manches, das ich gesehen habe, hat sich bewahrheitet«,
antwortete ich ehrlich. »Manchmal jedoch sind gerade die Dinge, die ich
unbedingt wissen müsste, für mich unerreichbar. Dann ist die Gabe
nutzlos. Wenn sie mich nur einmal, nur ein einziges Mal gewarnt
hätte …«
»Wovor?«, wollte sie wissen.
»Vor dem Tod meiner Mutter.« Im nächsten Augenblick hätte ich
mir am liebsten die Zunge abgebissen. Es war bestimmt ein Fehler,
dieser scharfsinnigen Prinzessin etwas von meiner Vergangenheit zu
offenbaren.
Ich warf ihr einen verstohlenen Blick zu, doch sie betrachtete
mich nur voll Mitgefühl. »Das habe ich nicht gewusst. Ist sie in
Spanien gestorben? Du kamst doch aus Spanien, nicht wahr?«
»Sie starb in Spanien«, bestätigte ich. »An der Pest.« Ein
heftiger Schmerz durchfuhr mich, weil ich solche Lügen über den Tod
meiner Mutter verbreitete, aber unter dem forschenden Blick dieser
klugen jungen Frau wagte ich nicht einmal an die Feuer der Inquisition
zu denken. Mir war, als hätte sie den Widerschein der Flammen in meinen
Augen sehen müssen.
»Das tut mir leid«, sagte sie leise. »Es ist schwer für eine
junge Frau, ohne Mutter
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