Die Hofnärrin
als
Henkersmahlzeit serviert bekommt.«
»Muss sie denn sterben?«, flüsterte ich.
»Natürlich. Wyatt hat noch auf dem Richtblock seine
Anschuldigungen zurückgenommen, aber alle Beweise sprechen gegen sie.«
»Aber er hat sie von jeglicher Beteiligung freigesprochen?«,
fragte ich hoffnungsvoll.
Will lachte freudlos. »Er hat alle freigesprochen. Wie sich
herausstellte, war es die Rebellion eines einzigen Mannes, und das
große Heer haben wir uns bloß eingebildet! Er hat sogar Courtenay
entlastet – und der hatte doch schon gestanden! Aber noch
einmal macht er uns nicht das Vergnügen – wiederholen wird
er's nicht.«
»Hat denn die Königin gegen Elisabeth entschieden?«
»Die Beweise haben gegen sie entschieden«, erklärte Will. »Die
Königin kann nicht hundert Mann hängen lassen und dann den Anführer
verschonen. Elisabeth züchtet Verrat wie altes Fleisch die Fliegen. Hat
nicht viel Sinn, die Fliegen zu töten, das Fleisch aber vor aller Augen
verrotten zu lassen.«
»Bald schon?«, fragte ich entsetzt.
»Frag sie doch selber …« Er brach ab und nickte zur
Tür des Audienzzimmers, durch die in diesem Moment die Königin kam. Sie
schien ehrlich erfreut, mich zu sehen, und ich trat vor und beugte mein
Knie vor ihr.
»Hannah!«
»Euer Gnaden«, sagte ich. »Ich bin froh, Euch wiederzusehen.«
Ein Schatten fiel über ihr Gesicht. »Du bist aus dem Tower
gekommen?«
»Wie Ihr befohlen habt«, sagte ich rasch.
Sie nickte. »Ich will nicht wissen, wie es ihr geht.«
Beim Anblick ihrer eisigen Miene hielt ich den Mund und neigte
lediglich den Kopf.
Sie nickte, zufrieden über meinen Gehorsam. »Du kannst mit mir
kommen. Wir machen einen Ausritt.«
Ich schloss mich ihrem Gefolge an. Es waren zwei, drei neue
Gesichter darunter, Herren und Damen, doch für einen Königshof waren
sie sehr bescheiden gekleidet. Und sie waren still, zu still für eine
Schar junger Menschen auf einem Vergnügungsritt. Die Stimmung hatte
sich grundlegend verändert.
Ich wartete, bis alle aufgesessen waren, wir das schöne
Southampton House hinter uns hatten und das offene Land erreichten,
dann lenkte ich mein Pferd neben das der Königin.
»Euer Gnaden, darf ich bei Elisabeth bleiben, bis …«
Ich brach ab. »Bis zum Ende?«, vollendete ich meine Frage.
»Liebst du sie so sehr«, fragte sie bitter. »Bist du nun ihr
Eigen?«
»Nein«, erwiderte ich. »Sie tut mir leid. Euch würde es ebenso
ergehen, wenn Ihr nur einwilligen würdet, sie zu sehen.«
»Ich will sie nicht sehen«, erwiderte die Königin
entschlossen. »Und ich wage nicht, ihr Mitleid widerfahren zu lassen.
Du bist ein gutes Kind, Hannah. Ich werde nie vergessen, wie wir damals
in London eingezogen sind.« Sie drehte sich im Sattel um und schaute
zur Stadt zurück. Die Straßen Londons sahen nun ganz verändert aus: An
jeder Kreuzung reckte sich ein Galgen, an dem ein Verräter aufgehängt
war, und die Aaskrähen auf den Dächern wurden fett von den vielen
Happen. Es stank in der Stadt wie in Zeiten der Pest – es war
der Gestank des englischen Verrats. »Ich hegte damals große
Hoffnungen«, bemerkte sie kurz. »Sie werden wiederkehren, das weiß ich.«
»Da bin ich sicher«, sagte ich. Es waren leere Worte.
»Wenn Philipp von Spanien eintrifft, werden wir viele
Veränderungen vornehmen«, versicherte sie. »Dann wirst du sehen, wie
die Dinge sich bessern.«
»Soll er denn bald kommen?«
»Diesen Monat noch.«
Ich nickte. Dies würde das Datum von Elisabeths Hinrichtung
sein. Der Prinz hatte geschworen, keinen Fuß auf englischen Boden zu
setzen, solange die protestantische Prinzessin noch am Leben war. Somit
blieben ihr höchstens zwei Dutzend Tage.
»Euer Gnaden«, wagte ich mich vor. »Mein früherer Gebieter,
Robert Dudley, sitzt auch im Tower.«
»Ich weiß«, erwiderte Königin Maria leise. »Zusammen mit den
anderen Verrätern. Ich wünsche nichts über sie zu hören. Jene, die für
schuldig befunden wurden, müssen sterben, damit das Land Frieden
bekommt.«
»Ich weiß, Ihr werdet gerecht sein, und ich weiß, Ihr werdet
barmherzig sein«, redete ich ihr zu.
»Natürlich werde ich gerecht sein«, sagte sie. »Aber einige,
darunter auch Elisabeth, haben meine Barmherzigkeit ausgenutzt. Sie
sollte lieber um die Barmherzigkeit Gottes beten.«
Mit diesen Worten berührte sie die Flanke ihres Pferdes mit
der Peitsche. Der Hofstaat setzte sich in Galopp, und kein weiteres
Wort wurde gesprochen.
Sommer
1554
M itte Mai, als
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