Die Hofnärrin
es
allmählich wärmer wurde
und der anberaumte Tag für die Hochzeit der Königin näher rückte, war
immer noch kein Schafott für Elisabeth errichtet worden, war Prinz
Philipp von Spanien immer noch nicht angekommen. Eines Tages jedoch
vollzog sich eine Veränderung im Tower: Ein Landjunker aus Norfolk
hielt Einzug mit seinen Männern. Außer sich vor Angst lief Elisabeth
zwischen Fenster und Tür hin und her, verrenkte sich den Hals, um durch
die Schießscharte zu spähen, und versuchte, durch das Schlüsselloch in
der Tür etwas zu erkennen. Endlich schickte sie mich, um fragen zu
lassen, ob der Squire ihre Hinrichtung beaufsichtigen solle; sie
erkundigte sich bei den Wächtern vor ihrer Tür, ob nicht das Schafott
auf dem Rasenfleck errichtet würde. Die Wachen beteuerten, dies sei
nicht der Fall, doch die Prinzessin schickte mich hinaus, um
nachzusehen. Sie traute niemandem und wollte keine Ruhe geben, ehe sie
es nicht mit eigenen Augen gesehen hatte – doch man ließ sie
nicht hinaus.
»Vertraut mir«, sagte ich nur.
Sie nahm meine Hände. »Schwöre mir, dass du mich nicht
anlügst«, drängte sie. »Ich muss wissen, ob es heute noch sein soll.
Ich muss Vorsorgen, ich bin noch nicht bereit.« Sie biss sich auf die
Lippe, die bereits von hundert Bissen zernagt und wund war. »Ich bin
doch erst zwanzig, Hannah, ich kann noch nicht sterben!«
Ich nickte und ging hinaus. Der Rasenplatz war leer, dort
lagen keine zurechtgesägten Planken für den Zimmerer bereit. Die
Prinzessin hatte einen weiteren Tag gewonnen. Ich schlenderte zum
Verrätertor und kam mit einem Mann des Squire ins Gespräch. Was er mir
anvertraute, ließ mich eiligst zur Prinzessin zurückrennen.
»Ihr seid gerettet«, keuchte ich. Kat Ashley blickte auf und
schlug das Kreuzzeichen.
Elisabeth, die am Fenster gekniet und die kreisenden Möwen
beobachtet hatte, fuhr herum. Ihr Gesicht war bleich, die Augenlider
gerötet. »Was?!«
»Ihr werdet freigelassen und Sir Henry Bedingfield übergeben«,
erklärte ich. »Ihr begleitet ihn zum Schloss Woodstock.«
Ihre Miene blieb unbewegt. »Und dann?«
»Hausarrest«, erwiderte ich.
»Man wird also nicht meine Unschuld bestätigen? Ich werde
nicht bei Hofe empfangen?«
»Ihr werdet nicht verurteilt und nicht hingerichtet«, hielt
ich dagegen. »Und Ihr könnt den Tower verlassen. Andere Gefangene
müssen bleiben, und ihnen geht es schlechter als Euch.«
»Sie werden mich in Woodstock lebendig begraben«, sagte sie.
»Es ist ein kluger Schachzug. Sie entfernen mich aus der Stadt, damit
die Menschen mich vergessen. Sobald ich weggesperrt bin, werden sie
mich vergiften und irgendwo verscharren.«
»Wenn die Königin unbedingt Euren Tod wollte, hätte sie nach
dem Scharfrichter schicken können«, sagte ich. »Dies ist Freiheit für
Euch, oder zumindest Teil einer Freiheit. Ich hatte gedacht, dass Ihr
Euch freut.«
Doch Elisabeths Miene drückte nur Missbehagen aus. »Weißt du,
was meine Mutter ihrer Mutter angetan hat?«, flüsterte sie. »Zuerst hat
sie erreicht, dass Königin Katharina in ein einsames Landhaus verbannt
wurde, und dann in ein anderes – kleiner und
schäbiger –, und wieder in ein anderes, noch
schlechteres – bis die arme Frau in einer feuchten Ruine am
Ende der Welt saß und langsam an ihrer Krankheit zugrunde ging. Man
hatte ihr keinen Arzt geschickt, sie war halb verhungert, da es an Geld
für das Nötigste fehlte, und sie weinte um ihre Tochter, der kein
Besuch bei der Mutter erlaubt wurde. Königin Katharina starb in Armut
und Unglück, während ihre Tochter kaum mehr war als eine Dienstmagd in
der Kinderstube, die sich um mich kümmern musste. Meinst du nicht, dass
die Tochter sich noch daran erinnert? Sieht es nicht so aus, als solle
nun auch ich verbannt werden? Verstehst du nicht, dass dies Marias
Rache ist? Es passt doch ganz genau!«
»Ihr seid jung«, erwiderte ich lediglich. »Alles kann sich
noch wenden.«
»Du weißt, ich werde krank, wenn ich unglücklich bin, und ich
finde keinen Schlaf. Du weißt, dass ich mein Leben auf des Messers
Schneide verbracht habe, seit sie mir im Alter von zwei Jahren
einredeten, dass ich ein Bastard sei. Ich ertrage Vernachlässigung
nicht. Ich werde dem Gift erliegen oder dem Messer eines nächtlichen
Attentäters zum Opfer fallen. Überdies glaube ich nicht, dass ich noch
länger Angst und Einsamkeit ertragen kann.«
»Aber Lady Elisabeth!«, flehte ich. »Ihr habt mir doch gesagt,
jeder Augenblick, den Ihr
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