Die Hofnärrin
Schwestern zu
tuscheln. Gleich darauf vernahm ich unterdrücktes Kichern.
»Sie ist schüchtern«, sagte Daniel. »Sie ist nicht mit Absicht
unhöflich.«
Ich hingegen glaubte, dass sie mit voller Absicht unhöflich
war, doch es hatte keinen Sinn, Daniel dies zu sagen. Stattdessen
wickelte ich mich fester in meinen Umhang und sah den dunklen Fluten
des Flusses zu, während wir uns gemächlich den Schiffsanlegern näherten.
Ich warf einen Blick zurück – und dann erblickte ich
flussaufwärts ein Schauspiel, das mich veranlasste, Daniel die Hand auf
den Arm zu legen. »Halt an!«
Er machte keine Anstalten, die Pferde zu zügeln. »Warum? Was
ist denn?«
»Halt an, sage ich!«, fuhr ich ihn an. »Ich habe auf dem Fluss
etwas gesehen.«
Da gehorchte er. Beim Halt drehten sich die Pferde ein wenig,
und ich konnte die königliche Barke erkennen, die jedoch keine Flagge
gehisst hatte. Es war Königin Marias eigene Barke, doch die Königin war
nicht an Bord. Der Trommler schlug und sorgte für den Rhythmus der
Ruderer, am Bug saß eine dunkle Gestalt, und zwei vermummte Männer,
einer am Bug, der andere am Heck, behielten die Ufer im Auge.
»Nun haben sie Elisabeth verhaftet«, vermutete ich.
»Das kannst du doch nicht wissen«, wandte Daniel ein. Er warf
mir einen mahnenden Blick zu. »Und wenn? Was geht es uns an? Sie
mussten sie doch verhaften, nachdem Wyatt …«
»Wenn sie beim Tower hineinfahren, dann haben sie Elisabeth an
Bord und bringen sie zur Richtstätte«, sagte ich dumpf. »Und Lord
Robert muss ebenfalls sterben.«
Daniel hob die Zügel, um die Pferde zum Weitergehen
anzutreiben, doch ich hielt seine Hand fest. »Lass mich sehen,
verdammt!«, herrschte ich ihn an.
Er wartete. Die Barke drehte bei, kämpfte gegen die
heranrollende Flut und glitt über die Themse Richtung Tower. Das dunkle
Wassertor – ein schweres Fallgatter, das den Tower vor
Hochwasser schützte und allgemein den Namen ›Verrätertor‹
trug – wurde hochgezogen. Die Barke fuhr ein, das Fallgatter
kam wieder herunter, und es herrschte absolute Stille, abgesehen vom
Klatschen der Wellen. Heimlich und leise war das Schiff in den Tower
eingefahren.
Ich glitt vom Karren und lehnte mich an das Vorderrad, schloss
die Augen. Ich sah die Szene vor mir, als spielte sie sich im hellsten
Tageslicht ab: Elisabeth protestierte und weigerte sich weiterzugehen
in die Räume, die man im Tower für sie vorbereitet hatte. Ich sah, wie
sie um jedes Sandkorn im Stundenglas kämpfte, wie sie es immer schon
getan hatte. Ich sah, wie sie um jeden Moment feilschte. Und
schließlich sah ich sie im Kerker, wie sie aus dem Fenster auf das
Rasenstück blickte, auf dem ihrer Mutter mit dem schärfsten
französischen Schwert, das aufzutreiben war, der Kopf abgeschlagen
worden war. Ich sah, wie sie beim Bau des Richtblocks für ihre eigene
Hinrichtung zuschaute.
Daniel trat neben mich. »Ich muss zu ihr«, sagte ich, wie aus
einem Traum erwachend. »Ich muss gehen. Ich habe versprochen, dass ich
zu ihr zurückkehren würde, und nun ist sie dem Tode nahe. Ich kann
einer sterbenden Frau kein Versprechen abschlagen.«
»Sie werden glauben, du gehörst zu ihr und zu ihm«, flüsterte
Daniel ergrimmt. »Wenn sie anfangen, ihre Diener zu hängen, wirst du
einer der Ersten sein.«
Ich sagte nichts darauf, denn etwas anderes quälte mich. »Was
hast du eben über Wyatt gesagt?«
Er errötete, ich hatte ihn ertappt. »Nichts.«
»Aber ja. Eben, als ich die Barke gesehen habe, hast du etwas
über Wyatt gesagt. Was ist mit ihm?«
»Er hat vor Gericht gestanden, ist für schuldig befunden und
zum Tode verurteilt worden«, sagte Daniel kurz und bündig. »Mit seinem
Geständnis werden sie auch Elisabeth überführen.«
»Das hast du gewusst? Und vor mir geheim gehalten?«
»Ja.«
Ich wickelte meinen Umhang fest um meine dunklen Hosen und
stiefelte zur Rückseite des Wagens.
»Wo willst du hin?« Daniel hielt mich am Ellenbogen fest.
»Ich will mein Bündel holen. Ich gehe in den Tower, ich gehe
zu Elisabeth«, erwiderte ich schlicht. »Ich werde bis zu ihrem Tode bei
ihr bleiben, und dann werde ich mich auf die Suche nach euch machen.«
»Du kannst doch nicht allein nach Italien reisen!«, fuhr er
mich wütend an. »Du darfst mir nicht auf diese Art trotzen. Du bist
meine Verlobte, ich habe dir gesagt, was zu tun ist. Wisse, meine
Schwestern, meine Mutter, alle gehorchen mir. Und du musst es auch tun.«
Ich biss die Zähne zusammen und baute mich vor
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