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Die Hofnärrin

Die Hofnärrin

Titel: Die Hofnärrin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippa Gregory
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einem heißen, wunden Mund und meinem Versprechen, das ich einer
Verräterin gegeben hatte.
    Diese Wochen im Tower waren die
schrecklichste Zeit, die ich in England verbrachte, und für Elisabeth
bedeuteten sie die schlimmste Qual ihres Lebens. Vor Angst und Unglück
verfiel sie in einen Zustand der Apathie, gegen den es kein Mittel gab.
Sie wusste, dass sie sterben würde, und zwar am gleichen Platz wie ihre
Mutter Anna Boleyn, ihre Tante Jane Rochford, ihre Cousine Katharina
Howard und ihre Cousine Jane Grey. Diese Erde war mit dem Blut ihrer
Familie durchtränkt. Dieser Rasenfleck im Schatten des düsteren White
Towers war der Sterbeort für die Frauen ihrer Familie. Sobald sie
diesem Ort nahe kam, fühlte sie sich zum Tod verdammt.
    Der Kommandant des Towers, den zuerst das Drama ihrer Ankunft
verwirrt hatte – denn Elisabeth hatte sich im Regen auf die
Stufen des Verrätertors gesetzt und sich geweigert, den Tower zu
betreten –, wurde noch mehr verunsichert, als die Prinzessin
eine tiefe Verzweiflung überkam, die überzeugender war als jegliche
Schauspielerei. Man erlaubte ihr, sich im Garten des Kommandanten zu
ergehen, da er innerhalb der mächtigen Mauern lag, doch als Elisabeth
zum ersten Mal in dem Garten spazieren ging, erschien am Tor ein
kleiner Knabe mit einem Blumenstrauß. Am nächsten Tag war er wieder da.
Am dritten Tag beschlossen die königlichen Räte, dass man der
Prinzessin zu ihrer eigenen Sicherheit nicht einmal diesen kleinen Gang
erlauben dürfe, und so blieb sie auf ihre Zelle beschränkt. Dort
wanderte sie ruhelos auf und ab wie eine Löwin – und dann
legte sie sich aufs Bett, schaute reglos auf den Baldachin und sagte
kein Wort mehr.
    Ich glaubte, sie bereitete sich auf den Tod vor, und fragte,
ob sie einen Priester sprechen wolle. Sie bedachte mich mit einem
Blick, in dem kein Lebensfunke mehr war, als sei sie nur noch eine
Hülle. All ihre Lebensfreude hatte sie verlassen, geblieben war nur die
Angst.
    »Haben sie dir gesagt, dass du mich fragen sollst?«, flüsterte
sie mir zu. »Soll er mir die Letzte Ölung geben? Soll es morgen schon
so weit sein?«
    »Nein!«, beeilte ich mich zu sagen und verfluchte mich
insgeheim, weil ich alles nur noch schlimmer gemacht hatte. »Nein! Ich
dachte nur, Ihr wolltet vielleicht für Eure Befreiung von diesem Ort
beten.«
    Die Prinzessin schaute zu einer Schießscharte, die ihr einen
begrenzten Blick auf den grauen Himmel und eine winzige Zufuhr kalter
Luft gewährte. »Nein«, erwiderte sie. »Nicht mit dem Priester, den
Maria mir schicken würde. Hat sie nicht Jane mit der Hoffnung auf
Vergebung gequält?«
    »Sie hat gehofft, Jane werde konvertieren«, sagte ich, um der
Königin Gerechtigkeit widerfahren zu lassen.
    »Jane hat ihr Leben gegeben, um ihren Glauben zu behalten.«
Verächtlich verzog sie den Mund. »Was für eine Abmachung mit einem
jungen Mädchen! Geschah ihr recht, dass Jane den Mut hatte.« Wieder
verdunkelten sich ihre Augen und sie starrte auf die Bettdecke. »Ich
habe diesen Mut nicht. Ich denke nicht wie Jane. Mir ist es am
wichtigsten, zu leben.«
    Während die Prinzessin im Tower saß und auf ihre
Gerichtsverhandlung wartete, begab ich mich zwei Mal zum Königshof, um
Kleider zu holen und die neuesten Nachrichten zu erfahren. Beim ersten
Besuch sah ich kurz die Königin. Kühl erkundigte sie sich, wie es der
Gefangenen gehe.
    »Sieh zu, ob du sie nicht dazu bringen kannst, zu bereuen. Nur
das vermag sie zu retten. Sage ihr, wenn sie gesteht, werde ich sie
begnadigen, und sie wird der Hinrichtung entgehen.«
    »Das tue ich«, versprach ich. »Aber könnt Ihr ihr vergeben,
Euer Gnaden?«
    Die Königin wandte mir ihre Augen zu, die voller Tränen
standen. »In meinem Herzen nicht«, erwiderte sie leise. »Doch ich werde
sie vor dem Tode, der Verrätern zukommt, bewahren, so weit es in meiner
Macht steht. Ich möchte die Tochter meines Vaters nicht als
Verbrecherin sterben sehen. Doch zuerst muss sie gestehen.«
    Bei meinem zweiten Besuch befand sich die Königin in der
Ratsversammlung, doch ich begegnete Will, der auf einer Bank in der
großen Halle saß und einen Hund tätschelte.
    »Schläfst du nicht?«, fragte ich.
    »Trägst du deinen Kopf noch auf den Schultern?«, lautete seine
prompte Gegenfrage.
    »Ich musste doch zu ihr«, erklärte ich. »Sie hat mich darum
gebeten.«
    »Wollen wir hoffen, dass du nicht das Letzte warst, worum sie
gebeten hat«, bemerkte er trocken. »Könnte passieren, dass sie dich

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