Die Hofnärrin
sein.«
»Ja, ich weiß, dass ich Thronerbin sein sollte«, sagte
Elisabeth mit mühsam gezügelter Ungeduld. »Ich werde die Krone erben,
falls kein Umsturz geschieht. Doch wird es auch so kommen?«
John Dee lehnte sich zurück. »Es tut mir leid, Prinzessin. Es
ist alles zu undeutlich. Die Liebe, die sie für ihn empfindet, und der
überwältigende Wunsch nach einem Kind verdunkeln alles. Ich habe
niemals erlebt, dass eine Frau einen Mann so sehr liebt, ich habe
niemals eine Frau einen sehnsüchtigeren Wunsch nach einem Kind hegen
sehen. Ihr starkes Verlangen zeigt sich in jedem Symbol der Tabelle, es
ist fast, als wolle sie ein Kind ins Leben wünschen.«
Elisabeth nickte, ihr Gesicht eine starre, schöne Maske. »Ich
verstehe. Würdet Ihr in der Lage sein, mehr zu sehen, wenn Hannah für
Euch in den Spiegel schaut?«
John Dee wandte sich an mich. »Würdest du es versuchen,
Hannah? Es für uns herausfinden? Es ist Gottes Werk, wie du weißt, wir
werden den Rat der Engel suchen.«
»Ich versuche es«, sagte ich. Ich war nicht sehr begierig
darauf, den verdunkelten Raum zu betreten und in den düsteren Spiegel
zu schauen. Doch der Gedanke, Lord Robert die Botschaft zu bringen, die
zu seiner Freilassung führen konnte, und der Königin die größte Freude
seit ihrer Thronbesteigung, war eine große Versuchung.
Ich betrat also das Zimmer. Zu beiden Seiten eines goldenen
Spiegels tanzten die Kerzenflammen. Der Tisch war mit einem weißen
Leinentuch bedeckt. John Dee zeichnete mit einer dunklen, klecksenden
Feder einen fünfzackigen Stern auf das Tuch und fügte in jeder Ecke
Symbole hinzu.
»Haltet die Tür geschlossen«, sagte er zu Elisabeth. »Ich weiß
nicht, wie lange es dauern wird.«
»Kann ich nicht mit hinein?«, drängte sie. »Ich werde auch
ganz still sein.«
Er schüttelte den Kopf. »Prinzessin, auch wenn Ihr nichts
sprecht, seid Ihr eine Persönlichkeit – wie die Königin. Im
Zimmer dürfen nur Hannah und ich sein – und die Engel, falls
sie gewillt sind, sich rufen zu lassen.«
»Doch Ihr werdet mir alles mitteilen«, drängte sie ihn. »Nicht
nur die Dinge, die ich Eurer Meinung nach wissen darf? Ihr werdet mir
alles berichten, was Ihr gesehen habt?«
John Dee nickte, schloss vor ihrer neugierigen Nase die Tür
und wandte sich wieder mir zu. Er stellte einen Schemel vor den Spiegel
und drückte mich sanft darauf, schaute über meinen Kopf hinweg auf sein
Spiegelbild. »Bist du gewillt?«, fragte er zur Bestätigung.
»Das bin ich«, sagte ich ernst.
»Deine Gabe ist ein mächtiges Geschenk«, sinnierte er. »Ich
gäbe meine ganze Gelehrsamkeit darum, sie zu besitzen.«
»Ich wünschte nur, es könnte eine Lösung geben«, sagte ich.
»Ich wünschte, Elisabeth könnte den Thron erben, doch ich wünsche auch,
dass die Königin ihn behält. Ich wünschte, die Königin könnte einen
Sohn bekommen und Elisabeth dennoch nicht der Krone verlustig gehen.
Ich wünschte von ganzem Herzen, dass Lord Robert freikäme und nicht
eine neue Verschwörung gegen die Königin anzettelte. Ich wünsche mir,
gleichzeitig hier und bei meinem Vater zu sein.«
John Dee lächelte. »Du und ich, wir sind wohl wenig hilfreiche
Verschwörer«, sagte er nachdenklich. »Denn mir ist es gleich, welche
Königin auf dem Thron sitzt, solange sie den Menschen gestattet, ihren
Glauben selbst zu wählen. Mir geht es darum, dass die Bibliotheken
wieder instand gesetzt werden, dass das Lernen erlaubt wird und dass
dieses Land das Meer erforscht und sich aufmacht zu den neuen Landen im
Westen.«
»Aber wie sollen wir das mit Kristallsehen erreichen?«, fragte
ich ihn.
»Wir werden erfahren, was die Engel uns raten«, erwiderte er
ruhig. »Besseren Ratschlag kann es nicht geben.«
John Dee trat vom Spiegel zurück, und ich hörte, wie er mit
ruhiger Stimme in Latein betete: Wir trachteten danach, das Werk Gottes
zu tun, und die Engel sollten zu uns kommen. Inbrünstig sprach ich das
»Amen« nach – und dann wartete ich.
Es schien sehr, sehr lange zu dauern. Die Kerzen spiegelten
sich im Kristall, die umgebende Dunkelheit nahm zu, und sie schienen
heller zu werden. Dann sah ich im Kern jeder Flamme einen dunklen Ring,
und in dem Ring war ein schwarzer Kerzendocht mit einem kleinen
Schimmer darum. Die Anatomie der Flammen nahm mich derart gefangen,
dass ich mich nicht mehr entsinnen konnte, was der Zweck meines
Hierseins war, ich starrte unbewegt in die Flammen … und dann
musste ich eingeschlafen sein. Sanft
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