Die Hofnärrin
Greenwich und reiste zu
ihrem Palast in Hatfield. Die Königin ließ sie ziehen, ohne ihr ein
Wort zum Abschied zu sagen. Jegliche Liebe, die sie einst für das Kind
Elisabeth empfunden hatte, war ihr durch die Treulosigkeit der jungen
Frau vergällt worden. Elisabeths Flirt mit dem König während der
letzten Wochen von Marias missglückter Schwangerschaft war der letzte
Akt vorsätzlicher Unfreundlichkeit gewesen, der die Schwester für immer
verletzt hatte. Tief im Herzen empfand Maria dies als letzten Beweis
dafür, dass Elisabeth tatsächlich Tochter einer Dirne und eines
Lautenspielers sein musste. Welche junge Frau hätte sie wohl so
behandelt, wie Elisabeth es getan hatte? Sie verleugnete fortan
jegliche Verwandtschaft mit Elisabeth, betrachtete sie weder als
Schwester noch als Nachfolgerin. Sie nahm die Liebe zurück, die sie der
jungen Frau stets angeboten hatte, und schloss sie aus ihrem Herzen
aus. Maria war froh über Elisabeths Abreise und legte keinen besonderen
Wert darauf, sie noch einmal zu sehen.
Ich ging zum großen Tor, um der Prinzessin Lebewohl zu sagen.
Sie trug ihr feierliches schwarz-weißes Gewand, die Livree der
protestantischen Prinzessin, da ihr Weg sie durch London führte und die
Londoner Bürger sie sehen und ihr zujubeln sollten. Sie zwinkerte mir
komplizenhaft zu, als sie den Fuß in die Hände des Stalljungen stellte
und sich von ihm in den Sattel helfen ließ.
»Ich wette, du würdest lieber mit mir kommen«, sagte sie
schalkhaft. »Ich könnte mir vorstellen, dass du hier kein sonderlich
frohes Weihnachten erleben wirst, Hannah.«
»Ich diene meiner Herrin in guten wie in schlechten Zeiten«,
sagte ich beharrlich.
»Wird dein junger Mann denn so lange auf dich warten?«, neckte
sie mich.
Ich zuckte die Achseln. »Er hat es versprochen.« Auf keinen
Fall würde ich Elisabeth auf die Nase binden, dass der Anblick der
tödlich verletzten Königin Maria keinen großen Anreiz zum Heiraten
darstellte. »Ich soll ihn erst dann zum Manne nehmen, wenn ich aus den
Diensten der Königin entlassen werde.«
»Nun, du kannst auch zu mir kommen, wann immer du willst«, bot
sie an.
»Ich danke Euch, Prinzessin«, erwiderte ich und stellte
erstaunt fest, dass ich mich über die Einladung freute – aber
Elisabeths Charme konnte eben keiner widerstehen. Selbst an einem
düsteren Hof wie dem unseren war die junge Prinzessin ein Sonnenstrahl,
und ihr Lächeln ließ sich durch keinen Schicksalsschlag verdunkeln.
»Warte nicht zu lange«, mahnte sie mit gespieltem Ernst.
Ich trat näher an den Hals ihres Pferdes heran und schaute zu
ihr auf. »Zu lange?«
»Wenn ich Königin bin, werden sich alle danach drängen, von
mir in Dienst genommen zu werden – da möchtest du doch gewiss
an vorderster Stelle stehen«, erklärte sie unverblümt.
»Das könnte noch Jahre dauern«, gab ich ebenso offen zurück.
Doch Elisabeth schüttelte nur den Kopf. An diesem frischen
Herbstmorgen war ihr Selbstvertrauen unerschütterlich. »Oh, glaube das
nicht. Die Königin ist keine starke Frau, und sie ist keine glückliche
Frau. Glaubst du etwa, König Philipp kehrt bei erster Gelegenheit zu
ihr zurück, um ihr einen Sohn und Erben zu machen? Nein. Und wenn er
lange genug fort ist, wird meine arme Schwester wohl vor Gram sterben.
Und nachdem dies geschehen ist, werden sie zu mir kommen, und dann
werde ich ihnen aus meiner Bibelkenntnis heraus sagen …« Sie
hielt einen Moment inne. »Wie lautete noch gleich dieser Satz, den
meine Schwester anbringen wollte, nachdem sie ihr gesagt hatten, dass
sie nun die Königin sei?«
Ich zögerte mit der Antwort. Zu deutlich standen mir noch die
Worte aus jenen hoffnungsvollen Tagen vor Augen, als Maria versprochen
hatte, sie werde die jungfräuliche Königin sein und das England ihrer
Mutter zu wahrem Glauben und Glück zurückführen. »Sie wollte sagen:
›Dies ist das Werk des Herrn; es ist wunderbar in unseren Augen.‹ Aber
sie erfuhr ja erst auf der Flucht, dass sie Königin werden sollte, und
dann musste sie um ihren Thron kämpfen – er fiel ihr ja nicht
in den Schoß.«
»Das ist mal ein guter Satz«, sagte Elisabeth beifällig.
»›Dies ist das Werk des Herrn; es ist wunderbar in unseren Augen.‹ Das
ist hervorragend. Diesen Satz werde ich benutzen. Und wenn es so weit
ist, willst du doch bei mir sein, nicht wahr?«
Ich sah mich rasch um, ob wir nicht belauscht würden, doch
Elisabeth wusste ganz genau, dass niemand in Hörweite war. Seit ich
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