Die Hofnärrin
gekommen war. Doch damals war König Eduard krank und
vergessen in seinen Räumen dahingesiecht, während seine Höflinge sich
dem guten Leben hingaben. Nun aber war es Maria, meine Königin und
Herrin.
Ich wich zurück – und prallte gegen einen Mann. Mit
um Verzeihung bittender Miene drehte ich mich um. Es war John Dee.
»Dr. Dee!« Mein Herz hämmerte vor Angst. Ich knickste tief.
»Hannah Green.« Er verneigte sich über meine Hand. »Wie geht
es dir? Und wie befindet sich die Königin?«
Ich vergewisserte mich, dass niemand zuhörte. »Sie ist krank«,
erwiderte ich. »Sie fiebert, sie hat Schmerzen am ganzen Leib, ihre
Augen tränen und ihre Nase rinnt. Es ist schlimm.«
Dee nickte. »Die halbe Stadt ist krank«, erklärte er. »Ich
glaube, in diesem Sommer hatten wir nicht einen ganzen Sonnentag. Wie
geht es deinem Sohn?«
»Gut, und ich danke Gott dafür.«
»Hat er inzwischen gesprochen?«
»Nein.«
»Ich habe darüber nachgedacht, was du mir erzählt hast. Ich
kenne einen gelehrten Mann, der dir Rat geben könnte. Einen Arzt.«
»In London?«, fragte ich.
John Dee zog ein Papier aus der Tasche. »Ich habe seine
Adresse aufgeschrieben, falls du ihn aufsuchen möchtest. Du kannst ihm
alles anvertrauen, was dir Sorge bereitet.«
Zaghaft nahm ich das Blatt entgegen. John Dee war ein
Mysterium, das man niemals ergründen konnte, ein Mann mit vielen
unterschiedlichen Freunden.
»Seid Ihr gekommen, um Mylord zu besuchen?«, fragte ich. »Wir
erwarten ihn heute Abend aus Hatfield zurück.«
»Dann werde ich in seinen Gemächern auf ihn warten«, sagte
Dee. »Ich mag nicht in der Halle speisen, wenn die Königin nicht am
Kopf der Tafel sitzt. Ich sehe Englands Thron nicht gern unbesetzt.«
»Nein«, stimmte ich zu. Wie immer fühlte ich mich gegen meinen
Willen zu ihm hingezogen. »Das habe ich selbst auch gedacht.«
Er legte seine Hand auf meine. »Du kannst diesem Arzt
vertrauen. Sage ihm, wer du bist und was dein Kind braucht. Ich weiß,
dass er dir helfen wird.«
Am nächsten Tag nahm ich Danny auf meine
Hüfte und eilte zu der angegebenen Adresse. Der Arzt lebte in einem der
hohen, schmalen Häuser in der Nähe der Inns of Court. Ein freundliches
Dienstmädchen öffnete mir die Tür. Sie sagte, der Doktor habe gleich
für mich Zeit, aber ob ich bitte zunächst einen Moment im Vorzimmer
warten würde. Danny und ich setzten uns zwischen die Regale, auf denen
seltsames Gestein lagerte.
Leise betrat der Arzt den Raum und ertappte mich bei der
Begutachtung eines Marmorbrockens, einem wunderschönen Stein in der
Farbe von Honig.
»Interessiert Ihr Euch für Steine, Mistress Carpenter?«,
fragte er.
Langsam legte ich das Bröckchen hin. »Nein. Aber ich habe
einmal gelesen, dass es überall auf der Welt verschiedene Gesteine
gibt, manche liegen Seite an Seite, andere sogar übereinander, und noch
niemand hat erklären können, warum das so ist.«
Er nickte. »Ebenso wenig wie den Grund, warum manche Kohle
enthalten und andere Gold. Euer Freund Mr. Dee und ich haben dieses
Problem kürzlich noch erörtert.«
Ich fasste ihn ein wenig genauer ins Auge und glaubte, in ihm
einen Menschen aus dem Auserwählten Volk zu erkennen. Seine Hautfarbe
glich der meinen, seine dunklen Augen waren so schwarz wie meine und so
schwarz wie Daniels Augen. Er besaß die starke, lange Nase und die
gewölbten Brauen und hohen Wangenknochen, die mir vertraut waren.
Ich holte tief Luft und fasste Mut und begann ohne Zögern.
»Mein Name war Hannah Verde. Ich bin mit meinem Vater aus Spanien
gekommen, als ich noch ein Kind war. Seht die Farbe meiner Haut, meiner
Augen. Ich gehöre dem Volk an.« Ich wandte den Kopf zur Seite und
strich über meine Nase. »Seht Ihr? Und dies ist mein Kind, mein Sohn.
Er braucht Eure Hilfe.«
Der Mann schaute mich an, als wollte er nichts zugeben. »Ich
kenne Eure Familie nicht«, sagte er verhalten. »Und ich weiß nicht, wen
Ihr mit ›Volk‹ meint.«
»Mein Vater gehörte zu den Verdes in Aragón«, erklärte ich.
»Eine alte jüdische Familie. Vor langer Zeit schon haben wir unseren
Namen geändert. Meine Vettern sind die Gastons in Paris. Mein Ehemann
hat den Namen Carpenter angenommen, doch er stammt aus der Familie
d'Israeli. Er weilt in Calais.« Ich musste mich fassen, weil meine
Stimme bei der Erwähnung seines Namens gezittert hatte. »Das heißt, er
war in Calais, als die Stadt eingenommen wurde. Jetzt, vermute ich,
sitzt er in Festungshaft. Ich habe schon länger keine
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