Die Hofnärrin
Und deshalb war alles rechtens,
was zur Bekehrung ihrer Familien, ihrer Freunde und der rebellischen
Scharen getan wurde, die sich auf Smithfield versammelten, den Henkern
zujubelten und die Priester verfluchten. Irrende Seelen mussten
gerettet werden, selbst gegen ihren Willen, und Maria wollte ihrem Volk
eine gute Mutter sein. Sie hörte nicht auf jene, die um Vergebung
flehten, um nicht bestraft zu werden. Sie wollte nicht einmal auf
Bischof Bonner hören, der Bedenken wegen der städtischen Sicherheit
hegte und die Ketzer lieber früh am Morgen verbrennen lassen wollte,
wenn die Straßen noch nicht so belebt waren. Doch Maria entgegnete,
selbst wenn es ihrer Herrschaft abträglich sei, müsse Gottes Wille
getan werden, und zwar vor aller Augen. Die Ketzer müssten brennen, und
zwar öffentlich. Sie sagte, Schmerz sei nun einmal das Schicksal der
Menschen. Ob jemand so anmaßend sein wolle, zu ihr zu kommen und sie zu
bitten, ihrem Volk diesen läuternden Schmerz zu ersparen?
Herbst
1558
I m September zogen wir nach Hampton Court in
der Hoffnung, die frische Luft werde den Atemwegen der Königin guttun,
da sie oft heiser war und über einen wunden Hals klagte. Die Arzte
verabreichten abwechselnd Öl und Flüssigkeiten, doch nichts schien zu
helfen. Königin Maria weigerte sich auch des Öfteren, die Arznei zu
nehmen. Ich glaubte zunächst, es erinnere sie an die Zeit, als ihr
kleiner Bruder von den Ärzten regelrecht vergiftet worden war, weil sie
mal die eine, mal die andere Kur probierten; doch dann begriff ich,
dass sie einfach nicht länger mit Medizin belästigt werden wollte. Sie
scherte sich um nichts mehr, nicht einmal um die eigene Gesundheit.
Die Reise nach Hampton Court erlebte Danny zum ersten Mal auf
einem Reitkissen. Er war nun kräftig genug, um rittlings auf einem
Pferd zu sitzen und sich während der kurzen Reise an meiner Taille
festzuhalten. Er war immer noch stumm, doch seine Wunde war verheilt,
und er war so friedfertig und fröhlich wie stets. Mit aller Kraft
umklammerte er meine Taille und zeigte sich begeistert über seinen
ersten richtigen Ritt auf einem sanftmütigen, trittsicheren Pferd.
Frohen Mutes ritten wir neben der königlichen Sänfte über feuchte,
schlammige Feldwege, während die Bauern sich mühten, den verdorrten
Roggen einzubringen.
Danny, der nichts verpassen wollte, schaute sich aufmerksam
um. Er winkte den Menschen auf dem Feld zu, er winkte den Dörflern, die
vor ihre Häuser getreten waren, um den königlichen Zug zu sehen. Meiner
Meinung nach sprach es Bände über den Zustand des Landes, dass keine
einzige Frau das Winken des kleinen Burschen erwiderte. Doch zurzeit
wurde jedem Mitglied im Gefolge der Königin ein Gruß verweigert. Das
Land hatte sich ebenso wie die Hauptstadt gegen Maria gewandt und würde
ihr nie vergeben.
Die Königin schaukelte in ihrer dunklen Sänfte dahin, zog
nicht einmal die Vorhänge auf. Als wir in Hampton Court ankamen, begab
sie sich sogleich in ihre Gemächer und ließ die Läden schließen, zog
das trübe Zwielicht dem hellen Tage vor.
Danny und ich ritten zu den Ställen, wo ein Reitknecht mir aus
dem Sattel half. Ich streckte die Arme nach Danny aus, wollte auch ihm
hinunterhelfen. Einen Augenblick hatte ich den Eindruck, als widersetze
er sich, weigere sich, den Pferderücken zu verlassen.
»Möchtest du das Pferd streicheln?«, lockte ich ihn.
Sofort hellte sich das kleine Gesicht auf. Danny streckte mir
seine Ärmchen entgegen und ließ sich hinunterheben. Ich hielt ihn an
den Pferdehals und ließ ihn das warme Fell mit dem guten Geruch
streicheln. Das Pferd, ein schöner, starkknochiger Brauner, wandte
seinen Kopf und schaute Danny an. Das sehr große Pferd und der sehr
kleine Junge sahen einander an – und dann stieß Danny einen
Seufzer der Befriedigung aus und sagte: »Gut.«
Das Wort kam so natürlich heraus, dass ich im ersten Moment
gar nicht begriff, was geschehen war. Doch dann wagte ich kaum zu atmen
vor Angst, dies könne das einzige Mal bleiben.
»Es ist wirklich ein nettes Pferd, nicht wahr?«, fragte ich
mit gespielter Nonchalance. »Sollen wir morgen wieder auf ihm reiten?«
Danny schaute von dem Pferd zu mir. »'a«, sagte er
entschlossen.
Ich drückte ihn fest an mich und küsste sein seidiges Haar.
»Dann machen wir es auch. Und jetzt darf er zu Bett gehen.«
Als wir von den Ställen zum Schloss gingen und Danny nach
meiner Hand tastete, zitterten meine Knie. Ich spürte ein Lächeln auf
meinem
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