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Die Hofnärrin

Die Hofnärrin

Titel: Die Hofnärrin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippa Gregory
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werden.
    »Amen«, sagte ich, nun inbrünstiger, da ich wusste, dies war
ein gefährliches, vielleicht sogar Verräterwerk.
    Ich spürte, wie Lord Robert sich erhob und das Zimmer verließ,
riss mich von Mr. Dee los und lief hinter ihm her.
    »War es dies, was Ihr wünschtet?«, wollte ich wissen.
    »Hast du mir etwa gesagt, was ich deiner Meinung nach zu hören
wünschte?«
    »Nein! Ich habe gesagt, was mir eingegeben wurde.« Das
stimmte – zumindest, als ich unvermittelt ›Jane‹ gesagt hatte,
dachte ich.
    Er sah mich scharf an. »Versprichst du es? Holder Knabe, du
nützt weder John Dee noch mir, wenn du uns nach dem Mund redest. Du
kannst mir nur eine Freude machen, indem du die Wahrheit erkennst und
die Wahrheit sprichst.«
    »Das habe ich! Das habe ich!« Mein Drang, ihm zu gefallen, und
meine Angst vor dem Spiegel waren zu viel auf einmal, und ich
schluchzte laut auf. »Ich habe die Wahrheit gesprochen, Mylord.«
    Er schaute immer noch grimmig. »Schwöre es!«
    »Ja.«
    Lord Robert legte mir die Hand auf die Schulter. Mein Kopf
schmerzte so sehr, dass ich mich danach sehnte, meine Wange an seinen
kühlen Ärmel zu schmiegen, doch das ließ ich besser. Ich stand
stocksteif da wie der Knabe, den er in mir zu sehen beliebte, und ließ
seine Musterung über mich ergehen.
    »Dann hast du es für mich sehr gut gemacht«, sagte er. »Genau
das war es, was ich wollte.«
    Mit strahlendem Gesicht trat Mr. Dee aus der dunklen Kammer
hervor. »Sie hat die Gabe«, sagte er. »Sie hat sie wirklich.«
    Lord Robert schaute seinen Tutor an. »Hilft Euch dies nun bei
Eurer Arbeit?«
    Der Ältere zuckte die Achseln. »Wer weiß? Wir sind alle wie
Kinder in der Dunkelheit. Doch sie besitzt das zweite Gesicht.« Er
überlegte kurz, dann wandte er sich mir zu. »Hannah Verde, eines muss
ich dir sagen.«
    »Ja, Sir?«
    »Du besitzt die Gabe der Vorhersehung, weil dein Herz rein
ist. Bitte, um deiner selbst willen und um deiner kostbaren Gabe
willen, weise jeden Heiratsantrag zurück, nimm dich vor jeglicher
Verführung in Acht und halte dich rein.«
    Hinter mir schnaubte Lord Robert belustigt.
    Ich spürte, wie eine Röte sich langsam von meinem Hals über
meine Ohrläppchen bis zu den Schläfen ausbreitete. »Ich habe keine
fleischlichen Gelüste«, sagte ich mit einer Stimme, die kaum mehr war
als ein Flüstern. Ich wagte nicht, Lord Robert anzuschauen.
    »Dann wirst du die Wahrheit sehen können«, sagte John Dee.
    »Aber ich verstehe es nicht«, protestierte ich. »Wer ist Jane?
Wenn Seine Hoheit stirbt, wird doch Lady Maria Königin werden.«
    Lord Robert legte mir rasch einen Finger auf die Lippen, und
wieder war ich still. »Setz dich.« Er drückte mich auf einen Stuhl, zog
einen Schemel heran und setzte sich neben mich. Sein Gesicht war ganz
nahe. »Holder Knabe, heute hast du zwei Dinge gesehen, für deren
Bekanntwerden wir gehängt würden.«
    Mein Herz schlug angstvoll. »Mylord?«
    »Allein dadurch, dass du in den Spiegel geschaut hast, sind
wir alle in Gefahr geraten.«
    Meine Hand fuhr an meine Wange, als wollte ich ein
unsichtbares Rußteilchen fortwischen. »Mylord?«
    »Du darfst keinem Menschen ein Wort davon erzählen. Es ist
Verrat, dem König das Horoskop zu stellen, und auf Verrat steht die
Todesstrafe. Du hast ihm heute das Horoskop gestellt, und du hast den
Tag seines Todes vorhergesagt. Willst du mich etwa auf dem Schafott
sehen?«
    »Nein! Ich …«
    »Willst du selbst sterben?«
    »Nein!« Meine Stimme zitterte unbeherrscht. »Mylord, ich habe
Angst.«
    »Dann kein Wort hierüber, zu niemandem. Nicht einmal zu deinem
Vater. Was nun die Jane aus dem Spiegel angeht …«
    Ich wartete.
    »Vergiss einfach, was du gesehen hast, vergiss, dass ich dich
gebeten habe, in den Spiegel zu schauen. Vergiss den Spiegel, vergiss
das Zimmer.«
    Ich sah ihn ernst an. »Ich muss es nicht noch einmal tun?«
    »Du wirst es niemals wieder tun müssen, ohne vorher
eingewilligt zu haben. Aber vorerst musst du es vergessen.« Er schenkte
mir sein schönes, verführerisches Lächeln. »Weil ich dich darum bitte«,
flüsterte er. »Weil ich dich als Freund darum bitte. Denn ich habe mein
Leben in deine Hände gelegt.«
    Ich war verloren. »Gewiss«, sagte ich.
    Im Februar zog der Hof in den Palast zu
Greenwich, und es wurde verkündet, dass es dem König besser gehe. Aber
er fragte nie nach mir oder nach Will Somers, er bat nicht um Musik
oder Gesellschaft und erschien auch nicht zum Dinner in der großen
Halle.

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