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Die Hofnärrin

Die Hofnärrin

Titel: Die Hofnärrin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippa Gregory
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wurden
die ersten Menschen auf Erden. Sie müssen Hebräisch gesprochen haben,
sie müssen sich mit Gott in dieser Sprache verständigt haben. Es gibt
jedoch eine noch höhere Sprache, nämlich die, die Gott mit den
Himmelswesen spricht, und diese Sprache hoffe ich eines Tages zu
entdecken. Und der Weg dorthin führt über das Hebräische, das
Griechische und das Persische.« Er überlegte einen Moment. »Persisch
beherrschst du nicht zufällig, wie? Oder eine der arabischen Sprachen?«
    »Nein«, erwiderte ich.
    »Nun, das macht nichts«, sagte er gleichmütig. »Du wirst jeden
Morgen zu mir kommen und eine Stunde mit mir lesen, und wir werden
große Fortschritte machen.«
    »Wenn Lord Robert seine Erlaubnis gibt«, sagte ich zögernd.
    Mr. Dee lächelte über meine Einfalt. »Junge Dame, du wirst mir
behilflich sein, die Bedeutung unserer Welt zu ergründen. Zu dem
Universum existiert ein Schlüssel, und wir sind gerade erst dabei, nach
ihm zu greifen. Es gibt Gesetze, unveränderliche Gesetze, die den Lauf
der Planeten bestimmen, die Gezeiten des Meeres und die Geschicke der
Menschen. Ich weiß es, ich weiß mit Sicherheit, dass alle diese Dinge
miteinander verbunden sind: das Meer, die Planeten und die
Menschheitsgeschichte. Mit Gottes Hilfe und unseren gemeinsamen
Fähigkeiten werden wir diese Gesetze entdecken, und wenn wir sie
kennen …«, er legte eine kurze Pause ein, »… dann
wissen wir alles.«

Frühling
1553
    I m April wurde mir
erlaubt, meinen Vater zu
besuchen, und ich brachte ihm meinen Lohn, den ich für das Quartal
erhalten hatte. Ich zog meine alten Knabenkleider an, die er mir bei
unserer Ankunft in England gekauft hatte, und stellte fest, dass meine
Hände weit aus den Ärmeln ragten, außerdem passten die Schuhe nicht
mehr. Ich musste die Hacken ausschneiden und schlampig durch die Stadt
marschieren.
    »Bald müssen sie dir ein Kleid machen«, bemerkte mein Vater.
»Du bist schon eine halbe Frau. Was gibt es Neues bei Hofe?«
    »Nichts«, antwortete ich. »Alle sagen, dass es dem König bei
dem wärmeren Wetter zunehmend besser geht.« Ich erwähnte nicht, dass
alle gleichermaßen logen.
    »Gott schütze und erhalte ihn«, sagte mein Vater fromm. Dann
musterte er mich neugierig. »Und Lord Robert? Siehst du ihn zuweilen?«
    Ich spürte, wie mir die Röte in die Wangen stieg. »Dann und
wann.« Doch ich hätte ihm die genaue Stunde angeben können, zu der ich
Lord Robert zuletzt gesehen hatte. Er hatte nicht mit mir gesprochen,
mich vielleicht nicht einmal gesehen. Er saß auf seinem Pferd, kurz vor
dem Aufbruch zur Jagd auf die Reiher, die auf den Wattbänken des
Flusses nisteten. Er trug einen schwarzen Umhang und einen schwarzen
Hut mit einer dunklen Feder, die mit einer Gagatnadel am Hutband
befestigt war. Auf seiner Hand saß ein prächtiger Falke mit einer
Augenhaube. Lord Robert ritt mit ausgestrecktem Arm, um den Vogel ruhig
zu halten, mit der anderen Hand hielt er das tänzelnde Pferd im Zaum.
Er sah aus wie ein Prinz, ein fröhlich lachender Märchenprinz. Ich
hatte ihn angestarrt, wie ich eine über der Themse segelnde Möwe
angestarrt hätte: wie ein wunderschönes Bild, das meinen Tag erhellte.
Mein Blick war nicht der einer begehrenden Frau, sondern der eines
Mädchens auf das angebetete Idol, das jenseits alles Erreichbaren
liegt, jedoch in jeder Hinsicht Vollkommenheit ausdrückt.
    »Es wird eine große Hochzeit geben«, begann ich, nur um etwas
zu sagen. »Lord Roberts Vater hat sie arrangiert.«
    »Wer wird heiraten?«, fragte mein Vater mit der Neugier einer
Klatschbase.
    Ich zählte die drei Paare an meinen Fingern ab. »Lady
Katherine Dudley wird Lord Henry Hastings heiraten, und die beiden
Grey-Schwestern werden Lord Guilford Dudley und Lord Henry Herbert
heiraten.«
    »Und du kennst sie alle!«, brüstete sich mein Vater, stolz auf
meine Verbindungen.
    Ich schüttelte den Kopf. »Nur die Dudleys«, sagte ich. »Und
keiner von ihnen würde mich kennen, wenn ich meine Livree ablegte. Ich
bin nur ein sehr niederer Diener bei Hofe, Vater.«
    Mein Vater schnitt das Brot; es war altbacken, vom Vortag. Auf
einem anderen Teller lag ein kleines Stück Käse. Irgendwo im Zimmer war
auch noch Fleisch, das wir später essen würden, entgegen der englischen
Sitte, alles, was es zu essen gab, zugleich auf den Tisch zu stellen,
sei es Fleisch oder Brot oder sogar die Nachspeise. Sosehr wir uns auch
verstellten, man konnte sofort erkennen, dass wir trachteten, nach den
Geboten unseres

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