Die Hofnärrin
Haaransatz, dunkelbraunes Haar mit einem Hauch
Tudor-Rot. Ihr bezauberndes Lächeln entfaltete sich langsam, und der
Blick ihrer Augen war warm. Was mir jedoch am meisten auffiel, war ihre
ehrliche Art, die so gar nicht meiner Vorstellung von einer Prinzessin
entsprach. Da ich nun einige Wochen bei Hofe war, glaubte ich, dass man
dort nur mit dem Munde lächelte und zwar das eine sagte, jedoch das
andere meinte. Prinzessin Maria aber machte den Eindruck, als meine sie
stets, was sie sagte, als glaube sie an die Ehrlichkeit anderer und
wolle nur den geraden Weg gehen.
Wenn sie schwieg, wirkte ihr Gesicht grimmig, doch wurde
dieser Zug durch ihr Lächeln wettgemacht. Es war das Lächeln der
Lieblingstochter, geboren zu der Zeit, als ihr Vater noch jung war und
seine Frau anbetete. Lady Maria besaß flinke schwarze Augen, die sie
von ihrer Mutter geerbt hatte, sowie die Fähigkeit, ihre Umgebung rasch
einzuschätzen. Sie saß sehr gerade auf ihrem Stuhl, und der dunkle
Kragen ihres Gewandes rahmte Schultern und Hals ein. Um den Hals trug
sie ein großes, mit edlen Steinen verziertes Kreuz, als wolle sie an
diesem betont protestantischen Hof die Aufmerksamkeit auf ihren Glauben
lenken. Ich fand dies entweder sehr mutig oder tollkühn. Woher nahm sie
den Mut, so fest zu ihrem Glauben zu stehen, wenn die Schergen ihres
Bruders Ketzer wegen weitaus geringerer Vergehen auf den Scheiterhaufen
brachten? Doch als Lady Maria die Hand nach ihrem goldenen Trinkkelch
ausstreckte, sah ich das verräterische Zittern – und wusste
nun, dass sie gelernt hatte, tapferer zu wirken, als sie tatsächlich
war.
In einer Tanzpause trat Robert Dudley an ihre Seite und
flüsterte ihr etwas zu. Sie richtete den Blick auf mich, und er winkte
mich heran.
»Wie ich höre, stammst du aus Spanien und bist die neue
Hofnärrin meines Bruders«, sprach sie mich auf Englisch an.
Ich verneigte mich tief. »Ja, Euer Gnaden.«
»Sprich Spanisch«, befahl mir Lord Robert, und ich verneigte
mich erneut und sagte der edlen Dame auf Spanisch, wie froh ich sei,
bei Hofe dienen zu dürfen.
Als ich aufschaute, erkannte ich an ihrem Lächeln, wie es sie
freute, die Sprache ihrer Mutter zu hören. »Aus welchem Teil Spaniens
kommst du?«, begehrte sie zu wissen.
»Aus Kastilien, Euer Gnaden«, log ich hastig. Ich wollte
verhindern, dass Erkundigungen eingezogen wurden, die auf die Spur
meiner vernichteten Familie in Aragón führten.
»Und warum bist du nach England gekommen?«
Auf diese Frage war ich vorbereitet. Mein Vater und ich hatten
die Risiken jeder möglichen Antwort gegeneinander abgewogen und uns für
die sicherste entschieden. »Mein Vater ist ein großer Gelehrter«,
erwiderte ich daher. »Er wollte aus seiner Manuskriptsammlung Bücher
herstellen, und er wollte es in London machen, weil es ein berühmtes
Zentrum der Gelehrsamkeit ist.«
Sofort erlosch ihr Lächeln, und ihr Gesicht nahm einen
strengen Ausdruck an. »Ich nehme an, er gibt Bibelabschriften heraus
und bringt damit Menschen vom rechten Weg ab, die nicht einmal
versuchen, die Heilige Schrift zu verstehen.«
Ich sah verstohlen zu Robert Dudley, der eine ins Englische
übersetzte Bibel meines Vaters erworben hatte.
»Nur auf Latein«, beschwichtigte er ihren Unwillen. »Eine sehr
reine Übersetzung, Lady Maria, und fast ohne Fehler. Ich könnte mir
denken, dass Hannah Euch eine bringt, wenn Ihr mögt.«
»Mein Vater würde sich geehrt fühlen«, sagte ich.
Sie nickte. »So bist du also die heilige Närrin meines
Bruders«, fuhr sie fort. »Kannst du mir auch ein paar weise Worte
sagen?«
Hilflos schüttelte ich den Kopf. »Ich wünschte, ich könnte der
Gabe gebieten, Euer Gnaden. Ich bin weniger weise als Ihr, glaube ich.«
»Sie sagte meinem Tutor John Dee, sie habe einen Engel
gesehen, der uns begleitete«, erzählte Lord Robert.
Lady Maria betrachtete mich mit Respekt.
»Doch meinem Vater sagte sie, dass sie hinter ihm keine Engel
erkennen könne.«
Sie brach in Gelächter aus. »Ach nein? Tatsächlich? Und was
hat Euer Vater darauf gesagt? Bedauerte er, keinen Engel an seiner
Seite zu haben?«
»Ich glaube nicht, dass er sehr überrascht war«, erwiderte
Robert, ebenfalls lachend. »Aber sie ist eine liebe, gute Maid, und ich
glaube, sie hat wirklich die Gabe. Sie war Eurem Bruder ein großer
Trost am Krankenbett. Sie besitzt die Gabe, die Wahrheit zu sehen und
auszusprechen, und das gefällt ihm.«
»Diese Gabe findet sich auch selten bei Hofe«, äußerte
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