Die Hofnärrin
Geschäftig umhereilende Ärzte, die mit gedämpfter Stimme
miteinander sprachen, waren immer seltener zu sehen. Sie redeten nicht
gerade von Genesung, doch selbst ihre ermunternden Worte über die
Wirksamkeit von Aderlässen, die das Blut des jungen Mannes reinigen,
oder sorgfältig dosierte Gifte, die seine Krankheit abtöten sollten,
klangen nicht verlässlich. Lord Roberts Vater, der Herzog von
Northumberland, war nun fast an Eduards Stelle Herrscher geworden; er
saß beim Nachtmahl rechts von dem verwaisten Thron und führte den
Vorsitz bei der wöchentlichen Ratsversammlung. Auf Nachfragen
antwortete er jedoch stets, dass der König sich wohl befinde, er sogar
auf dem Wege der Besserung sei. Mit Beginn des Sommers werde er wieder
auf seinem Posten sein.
Ich sagte nichts dazu. Ich wurde entlohnt, um Hofnarr zu sein,
um Überraschendes und Unverschämtes zu sagen. Indes – etwas
Unverschämteres als die Wahrheit wollte mir nicht einfallen, und diese
lautete, dass der junge König geradezu der Gefangene seines
Lordprotektors war; dass er dahinschwand ohne einen Gefährten an seiner
Seite und ohne jegliche Pflege; und dass der gesamte Hof und jeder
mächtige Mann im Lande nur an die Krone dachte und nicht an den
Jungen – wahrlich, es war grausam, einen Jungen, der kaum
älter war als ich, so einsam sterben zu lassen. Ich lauschte den
Höflingen, die einander versicherten, dieser junge Mann von fünfzehn
Jahren, der sich die Lunge aus dem Leib hustete, werde im Sommer gesund
sein und eine Frau nehmen, und ich dachte insgeheim, dass ich in der
Tat ein Narr wäre, wenn ich sie nicht als Lügner und Lumpenpack
entlarvte.
Während der junge König in seiner Kammer schwarze Galle
spuckte, schöpften seine Gefolgsleute aus dem Vollen, strichen die
Bezüge aus ihren Pöstchen ein und die Pachteinnahmen aus den Klöstern,
die sie, vorgeblich aus religiösen Gründen, geschlossen hatten und nun
voller Gier ausraubten – und niemand wagte ein Wort dagegen zu
sagen. Ich wäre wirklich eine Närrin gewesen, hätte ich an diesem Hofe
voller Lügner die Wahrheit gesprochen, ich wäre solch ein Kuriosum
gewesen wie ein Engel auf der Fleet Street. Nein, da verhielt ich mich
lieber still, saß beim Dinner neben Will Somers und lauschte lediglich.
Neue Aufgaben erwarteten mich. Lord Roberts Tutor Mr. Dee
suchte mich auf und fragte, ob ich mit ihm lesen wolle. Seine Augen
seien alt und müde geworden, sagte er, und mein Vater habe ihm einige
Manuskripte geschickt, die junge Augen besser zu entziffern vermochten.
»Ich kann nicht sehr gut lesen«, sagte ich, um sein
gefährliches Ansinnen abzuwehren.
Wir befanden uns in einem der sonnendurchfluteten Wandelgänge
mit Blick auf den Fluss. John Dee eilte schnellen Schrittes voran, doch
bei meinen Worten drehte er sich um und lächelte.
»Du bist eine sehr vorsichtige junge Dame«, sagte er. »Ein
kluges Verhalten in diesen unruhigen Zeiten. Aber bei mir und Lord
Robert brauchst du keine Angst zu haben. Ich nehme an, Englisch und
Latein kannst du flüssig lesen?«
Ich nickte.
»Und natürlich Spanisch – vielleicht auch
Französisch?«
Ich hütete mich, darauf zu antworten. Dass ich Spanisch als
Muttersprache sprechen und lesen konnte, verstand sich von selbst, aber
dass ich während unseres Aufenthaltes in Paris ein wenig Französisch
gelernt hatte, brauchte er nicht zu wissen.
Mr. Dee kam nahe an mich heran und flüsterte mir ins Ohr.
»Kannst du Griechisch? Ich brauche jemanden, der mir Griechisch
vorlesen kann.«
Wäre ich ein wenig älter und klüger gewesen, hätte ich meine
Kenntnisse verleugnet. Aber ich war erst vierzehn und stolz auf meine
Fähigkeiten. Meine Mutter hatte mir beigebracht, Griechisch und
Hebräisch zu lesen, und mein Vater pflegte mich seinen kleinen
Studenten zu nennen, weil ich so gelehrig war wie ein Junge.
»Ja«, erwiderte ich. »Ich kann Griechisch lesen – und
auch Hebräisch.«
»Hebräisch?«, rief John Dee über die Maßen erstaunt. »Meine
Güte, Kind, was hast du denn in Hebräisch gelesen? Die Thora?«
Sofort wurde mir klar, dass ich besser nichts gesagt hätte.
Wenn ich eingestand, Gebote und Gebete der Juden zu kennen, dann
verriet ich meinen Vater und mich als Angehörige dieses Glaubens, die
überdies noch die alten Riten praktizierten. Meine Mutter hatte mir
nicht umsonst prophezeit, dass meine Eitelkeit mich noch einmal in
Schwierigkeiten bringen würde. Damals hatte ich geglaubt, sie spiele
auf meine Vorliebe für
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