Die Hofnärrin
Lobe unseres Gottes. »Aber wir sind nicht wie jeder«, sagte ich
schlicht.
Jeden Morgen studierten John Dee und ich die
Bücher wie eifrige Gelehrte. Meistens bat er mich, eine bestimmte
Textstelle in der Bibel in Griechisch und dann in Latein zu lesen,
damit er die Übersetzungen vergleichen konnte. Er beschäftigte sich mit
dem ältesten Teil der Bibel und versuchte, die Wahrheit über die
Erschaffung der Welt aus der blumigen Sprache zu extrahieren.
Stundenlang lauschte er, den Kopf in eine Hand gestützt, und machte
sich Notizen, manchmal jedoch hob er eine Hand zum Zeichen, dass ich
eine Pause machen sollte, weil ihm ein Gedanke gekommen war. Für mich
war es leichte Arbeit, ich konnte lesen, ohne verstehen zu müssen, und
wenn ich ein Wort nicht aussprechen konnte – und deren gab es
viele –, dann buchstabierte ich es, und sogleich erkannte Mr.
Dee, um welches Wort es sich handelte. Ich konnte nicht umhin, ihn zu
mögen; er war sanft und sehr nett, und mit der Zeit wuchs meine
Bewunderung für seine ungeheuren Fähigkeiten. Er schien mir ein Mann
von geradezu sagenhaftem Wissen zu sein. In seinen Mußestunden
studierte er mathematische Probleme, vergnügte sich mit Geheimzeichen
und Zahlenspielen, erfand Akrosticha und ungemein komplexe Rätsel. Er
stand in Briefkontakt mit den hervorragendsten Denkern der
Christenheit, wobei er klug jedes Zusammentreffen mit der päpstlichen
Inquisition vermied, da diese genau die Fragen verbot, die in den
Werken besagter Denker angesprochen wurden.
Er hatte auch ein Spiel erfunden, das nur er und Lord Robert
beherrschten. Es hieß Schach auf vielen Etagen, und Mr. Dee hatte dafür
ein Schachbrett auf drei Ebenen entworfen, das aus massiven
abgeschrägten Glasplatten bestand und auf dem die Spieler sowohl die
Ebenen wechseln als auch auf ein und derselben spielen konnten. Dieser
Kniff machte das Spiel so kompliziert, dass Lord Robert und er für
manche Partien Wochen brauchten. Es geschah jedoch auch, dass John Dee
sich in seine Studierstube zurückzog und einen ganzen Nachmittag oder
Morgen lang nicht gestört werden durfte: Dann schaute er in den
Kristallspiegel, um herauszufinden, was in der jenseitigen Welt
existierte, in der Welt der Geister, die es irgendwo gab, auch wenn er
nur gelegentliche Blicke hineinwarf.
In seiner Kammer gab es auch einen in die Mauer gemeißelten
Kamin, und vor diesem stand eine steinerne Bank. Dort pflegte John Dee
zu sitzen und im Kamin ein Kohlenfeuer zu entzünden. Er hängte große
Glasgefäße darüber, die mit Wasser und Kräutern gefüllt waren. Ein
kompliziertes System gläserner Röhren leitete den Aufguss von einem
Gefäß ins nächste, bis die Flüssigkeit ruhen und abkühlen durfte.
Manchmal brachte er Stunden in der Kammer zu, und alles, was ich
während des Abschreibens langer Zahlenkolonnen hörte, war das leise
Klirren der Flaschen, wenn er Flüssigkeit in ein Gefäß schüttete, oder
das Pfeifen des Blasebalgs, wenn er das Feuer anfachte.
An den Nachmittagen setzten Will Somers und ich unsere
Schwertkampfübungen fort. Wir ließen allen Schabernack beiseite und
konzentrierten uns auf den ernsthaften Kampf, bis Will mit meiner
Leistung zufrieden war. Er meinte, für einen Narren sei ich nun ein
ernst zu nehmender Schwertkämpfer geworden, und wenn ich jemals in
Gefahr geriete, könnte ich mich mit einem Schwert heraushauen. »Wie ein
stolzer Hidalgo«, fügte er hinzu.
Obwohl ich froh war, eine so nützliche Fertigkeit zu erlernen,
glaubten wir doch, unsere Übungen würden keinen großen Nutzen mehr
haben, da der König nach wie vor das Krankenbett hütete – doch
im Mai wurden wir zu den Hochzeitsfeierlichkeiten in Durham House auf
dem Strand befohlen. Der Herzog wollte seiner Familie eine denkwürdige
Feier bieten, und Will und ich sollten einen Teil der anmutigen
Abendunterhaltung bestreiten.
»Man sollte meinen, es ist eine Königshochzeit«, bemerkte Will
listig.
»Wie – eine Königshochzeit?«, fragte ich.
Warnend hob er einen Finger an die Lippen. »Janes Mutter,
Frances Brandon, ist König Heinrichs Nichte, die Tochter seiner
Schwester. Jane und Katherine sind folglich Eduards Cousinen.«
»Ja«, sagte ich. »Und?«
»Und Jane wird einen Dudley heiraten.«
»Ja«, sagte ich verständnislos.
»Wer ist königlicher als die Dudleys?«, wollte er wissen.
»Die Schwestern des Königs«, hielt ich dagegen. »Janes Mutter.
Und andere.«
»Nicht, wenn man mit dem Maß der Gier misst«, erklärte
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