Die Hofnärrin
Suffolk
Place zurück, und Guilford Dudley, der über Magenschmerzen und
Völlegefühl klagte, fuhr mit seiner Mutter heim. Auch Lord Robert und
der Herzog waren früh auf den Beinen, um wieder zum König nach
Greenwich zu reiten.
»Warum gründet Euer Bruder mit seiner Ehefrau keinen
Hausstand?«, fragte ich Lord Robert. Ich hatte ihn am Tordurchgang zu
den Ställen getroffen, wo er darauf wartete, dass die Knechte sein
gewaltiges Pferd brachten.
»Nun, das ist nicht ungewöhnlich. Ich lebe auch nicht mit
meiner zusammen«, bemerkte er.
Die Dächer von Durham House neigten sich mir entgegen. Ich
taumelte und musste mich an der Mauer festhalten, bis die Welt wieder
im Lot war. »Ihr seid verheiratet?«
»Oho, hast du das nicht gewusst, kleine Seherin? Ich dachte,
du wüsstest alles?«
»Ich wusste nicht …«, setzte ich an.
»Oh ja, ich bin verehelicht, seit ich ein Junge bin. Und ich
danke Gott dafür.«
»Weil Ihr sie so sehr liebt?«, stammelte ich und verspürte
einen seltsamen Schmerz unter meinen Rippen, als sei ich krank.
»Weil ich, wenn ich nicht schon verheiratet wäre, Jane Grey
hätte heiraten und auf Befehl meines Vaters hätte tanzen müssen.«
»Erscheint Eure Frau niemals bei Hofe?«
»Fast nie. Sie mag nur auf dem Land leben, ihr gefällt London
nicht, wir können uns in dieser Hinsicht nicht einig werden …
und es ist leichter für mich …« Er brach ab und blickte zu
seinem Vater, der einen großen schwarzen Hunter bestieg und seinen
Reitknechten Anweisungen für die übrigen Pferde erteilte. Ich wusste
sofort, was Lord Robert meinte: So war es leichter für ihn, sich frei
zu bewegen und als Spion und Agent seines Vaters zu agieren, ohne durch
eine Ehefrau belastet zu sein.
»Wie ist ihr Name?«
»Amy«, sagte er gleichmütig. »Warum?«
Darauf wusste ich keine Antwort. Benommen schüttelte ich den
Kopf. In meinem Bauch fühlte ich ein starkes Unbehagen. Einen
Augenblick lang glaubte ich schon, ich hätte ebenso wie Guilford Dudley
Sodbrennen bekommen. »Habt Ihr Kinder?«
Hätte er die Frage bejaht, hätte er gesagt, er habe ein
Mädchen, eine geliebte Tochter, dann hätte ich mich wohl
zusammengekrümmt und auf die Pflastersteine vor seinen Füßen erbrochen.
Doch Lord Robert schüttelte den Kopf. »Nein«, erwiderte er
knapp. »Du musst mir eines Tages voraussagen, wann ich einen Sohn und
Erben erwarten kann. Wirst du das für mich tun?«
Ich schaute zu ihm auf und versuchte, trotz des Brennens in
meinem Hals zu lächeln. »Ich glaube, das kann ich nicht.«
»Fürchtest du dich vor dem Spiegel?«
Ich schüttelte den Kopf. »Nicht, wenn Ihr dabei seid.«
Daraufhin musste er lächeln. »Neben den Fähigkeiten des
heiligen Narren besitzt du auch noch Weiberschläue. Du durchschaust
mich wirklich, was, mein holder Knabe?«
Wieder schüttelte ich den Kopf. »Nein, Sir.«
»Es gefällt dir nicht, dass ich verheiratet bin?«
»Ich war nur überrascht.«
Lord Robert fasste mit der behandschuhten Rechten unter mein
Kinn und drückte es hoch, sodass ich in seine dunklen Augen blicken
musste. »Nun sei nicht so weibisch und weiche mit Lügen aus! Sag die
Wahrheit. Quälen dich mädchenhafte Sehnsüchte, mein kleiner holder
Knabe?«
Ich war zu jung, um meine Gefühle zu verbergen. Ich spürte,
wie mir die Tränen in die Augen stiegen, und ich verharrte reglos, zog
mein Kinn nicht zurück.
Er wusste sofort, warum ich weinte. »Du sehnst dich? Nach mir?«
Immer noch schwieg ich, sah ihn stumm durch einen
Tränenschleier an.
»Ich habe deinem Vater versprochen, dafür zu sorgen, dass dir
kein Leid geschieht«, sagte er zärtlich.
»Es ist schon geschehen«, sagte ich, die Wahrheit verratend.
Er schüttelte den Kopf, der Blick seiner dunklen Augen war
warm. »Oh nein, ist es nicht. Dies ist die erste Verliebtheit, die
Vernarrtheit junger Toren. Der Fehler meiner Jugend war, aus solch
nichtigen Gründen zu heiraten. Du aber, du wirst diese Verblendung
überleben und später deinen Verlobten heiraten und ein Haus voll
schwarzäugiger Kinder haben.«
Ich schüttelte den Kopf. Sprechen konnte ich nicht, denn meine
Kehle war wie zugeschnürt.
»Die Liebe zählt nicht, holder Knabe, es zählt nur, was du mit
ihr anzufangen weißt. Was möchtest du gern mit deiner Liebe tun?«
»Ich möchte Euch dienen.«
Er nahm eine meiner kalten Hände und führte sie an seine
Lippen. Wie verzaubert spürte ich seinen Mund an meinen
Fingerspitzen – eine Berührung, so innig wie ein Kuss auf
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