Die Hofnärrin
Glaubens zu essen: Milch und Fleisch getrennt. Jeder,
der die bräunliche Haut meines Vaters und meine dunklen Augen sah,
würde in uns die Juden erkennen. Wir mochten ja behaupten, Konvertierte
zu sein, wir mochten so begeistert zur Kirche gehen, wie es angeblich
Lady Elisabeth tat, dennoch würden wir als Juden erkannt werden. Wenn
man nach einer Rechtfertigung suchte, um uns zu berauben oder zu
verraten, brauchte man uns ja nur anzuschauen.
»Kennst du die Schwestern Grey?«
»Flüchtig«, erwiderte ich. »Sie sind Cousinen des Königs. Es
heißt, Lady Jane wolle gar nicht heiraten, sie lebe nur für ihre
Bücher. Aber ihre Eltern haben ihr so lange zugesetzt, bis sie
eingewilligt hat.«
Mein Vater nickte, es überraschte ihn keineswegs, dass man
einer Tochter die Ehe befehlen konnte. »Und was gibt es sonst? Was ist
mit Lord Roberts Vater, dem Herzog von Northumberland?«
»Er ist allgemein verhasst.« Ich senkte meine Stimme zu einem
Flüstern. »Aber er besitzt die Macht des Königs. Er geht im
Schlafgemach des Königs ein und aus und sagt, der König wünscht dies
und der König wünscht das. Was soll man schon gegen ihn ausrichten?«
»Erst letzte Woche haben sie unseren Nachbarn, den
Porträtmaler, verhaftet«, berichtete mein Vater. »Mr. Tuller. Sie
sagten, er sei ein Katholik und Ketzer. Haben ihn zur Befragung
mitgenommen, und er ist nicht wiedergekommen. Vor Jahren hat er ein
Bildnis Unserer Lieben Frau gemalt, und nun ist es bei einer
Haussuchung gefunden worden, mit seiner Signatur am Rand.« Mein Vater
schüttelte den Kopf. »Vor dem Gesetz ergibt das keinen Sinn«, klagte
er. »Wenn sie auch noch so sehr davon überzeugt sind. Als er dieses
Bild malte, war es erlaubt. Jetzt ist es Häresie. Als er das Bild
malte, war es ein Kunstwerk. Jetzt ist es ein Verbrechen. Das Bild hat
sich nicht verändert, es ist das Gesetz, das sich geändert hat, und sie
wenden das Gesetz auf die Jahre davor an, als es noch nicht existierte,
noch nicht niedergeschrieben war. Diese Menschen sind barbarisch. Ihnen
fehlt jegliche Vernunft.«
Instinktiv schauten wir beide zur Tür. Auf der Straße war es
ruhig, unsere Tür war fest verschlossen.
»Meinst du, wir sollten dieses Land verlassen?«, fragte ich
sehr leise. Und bei dieser Frage wurde mir klar, dass ich bleiben
wollte.
Nachdenklich kaute er an einem Kanten Brot. »Noch nicht«,
sagte er zögernd. »Im Übrigen, wohin könnten wir gehen, wo ist es
sicher? Ich bin lieber im protestantischen England als im katholischen
Frankreich. Wir sind jetzt reformierte Christen. Du gehst doch zum
Gottesdienst, nicht wahr?«
»Zwei, manchmal sogar drei Mal am Tag«, versicherte ich ihm.
»Der Hof ist sehr strikt in der Befolgung der Regel.«
»Ich sorge dafür, dass ich beim Kirchgang gesehen werde. Ich
gebe den Armen, und ich bezahle die Gemeindeabgaben. Mehr können wir
nicht tun. Wir sind beide getauft. Was könnte man schon gegen uns
sagen?«
Ich sagte nichts darauf. Wir wussten nur zu gut, dass alles
möglich war. In den Ländern, in denen die Gebote der Kirche zu einer
brennenden Angelegenheit geworden waren, konnte niemand sicher sein, ob
er sich nicht durch die Art und Weise seines Betens schuldig machte,
ja, oft sogar allein durch die Richtung, in die er während des Gebetes
blickte.
»Wenn der König krank wird und stirbt«, flüsterte mein Vater,
»wird Lady Maria den Thron besteigen, und sie ist Katholikin. Ob sie
das ganze Land wieder zum römisch-katholischen Bekenntnis zwingen wird?«
»Wer weiß schon, was geschieht?«, sagte ich und dachte daran,
wie ich ›Jane‹ als Thronerbin genannt hatte, eine Voraussage, die
Robert Dudley kaum überrascht hatte. »Ich würde keinen Groschen darauf
wetten, dass Lady Maria den Thron besteigt. In diesem Spiel gibt es
Mächtigere als uns, Vater. Und ich weiß nicht, was sie vorhaben.«
»Falls Lady Maria den Thron erbt und das Land wieder
römisch-katholisch wird, muss ich einige Bücher loswerden«, sagte mein
Vater beklommen. »Und wir hatten schon so einen guten Ruf als Verkäufer
lutheranischer Bücher!«
Ich hob meine Hand und rieb über meine Wange, als müsse ich
ein Rußteilchen fortwischen. Mein Vater berührte meine Hand. »Lass das, querida . Mach dir keine Sorgen.
Jeder in diesem Land wird eine Veränderung durchmachen müssen, nicht
nur wir. Keiner kann dem entgehen.«
Ich blickte auf die Sabbatkerze, die unter dem umgedrehten
Wasserkrug brannte; ihr Licht war verborgen, doch ihre Flamme brannte
zum
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