Die Hofnärrin
den
Mund. Mein Mund wurde weich, meine Lippen wölbten sich verlangend vor,
als lechzte ich nach seinem Kuss, hier im Hof, vor allen Leuten.
»Ja«, sprach er sanft, ohne den Kopf zu heben, gegen meine
Finger. »Du könntest mir dienen. Eine liebende Dienerin ist ein großes
Geschenk für jeden Mann. Wirst du die Meine sein, holder Knabe? Mit
Herz und Seele? Und alles tun, worum ich dich bitte?«
Sein Schnurrbart streifte meine Hand, so sanft wie die
Brustfedern seines Falken.
»Ja«, sagte ich, ohne die Größe meines Versprechens ermessen
zu können.
»Alles, worum ich dich bitte?«
»Ja.«
Unvermittelt richtete er sich auf, plötzlich entschlossen.
»Gut. Dann habe ich einen neuen Posten für dich, eine neue Aufgabe.«
»Nicht bei Hofe?«, fragte ich.
»Nein.«
»Ihr habt mich dem König übereignet«, erinnerte ich ihn. »Ich
bin seine Hofnärrin.«
Für einen Moment verzog er mitleidig den Mund. »Der arme Junge
wird dich nicht vermissen«, sagte er. »Ich werde dir alles genau
erklären. Komm morgen mit dem Hofstaat nach Greenwich, dann sag ich's
dir.«
Er kicherte in sich hinein, als sei die Zukunft ein Abenteuer,
in das er sich sogleich zu stürzen gedachte. »Komm morgen nach
Greenwich«, rief er mir erneut über die Schulter zu, bereits auf dem
Weg zu seinem Pferd. Sein Reitknecht verschränkte die Hände zu einem
Steigbügel, und Lord Robert schwang sich in den Sattel seines mächtigen
Hunters. Er wendete das Pferd und trabte aus dem Hof, hinaus auf den
Strand in die kalte englische Morgensonne. Sein Vater folgte ihm in
gemächlicherem Tempo, und ich sah, wie alle Höflinge, die bei seinem
Vorbeireiten den Hut abnahmen und den Kopf beugten, saure Gesichter
machten.
Auf dem Rücken eines der Karrengäule, die
den Verpflegungswagen zogen, ritt ich in den Hof des Greenwich-Palastes
ein. Es war ein schöner Frühlingstag, die Wiesen am Fluss waren ein
Meer von goldenen und silbernen Gänseblümchen, die mich an Mr. Dees
Sehnsucht erinnerten, mindere Metalle in Gold zu verwandeln. Während
ich dastand und den wärmenden Frühlingswind auf meinem Gesicht spürte,
rief ein Diener der Dudleys: »Hannah der Hofnarr?«
»Ja?«
»Du sollst dich umgehend bei Lord Robert und seinem Vater in
ihren Privatgemächern einfinden. Sofort, Bursche!«
Ich nickte und lief in den Palast, vorbei an den königlichen
Gemächern zu den nicht minder prächtigen des Lordprotektors, die von
Soldaten in Dudley-Livree bewacht wurden. Sie stießen mir die Flügel
der hohen Doppeltür auf, und ich fand mich im Empfangszimmer wieder, in
dem der Herzog Bittsteller aus dem gemeinen Volk anzuhören pflegte. Ich
durchschritt eine weitere Tür und noch eine, die Räume wurden zusehends
kleiner und persönlicher, bis ich zur letzten Doppeltür gelangte, wo
Lord Robert an einem Schreibtisch über einer ausgebreiteten
Handschriftenrolle brütete, während sein Vater ihm über die Schulter
sah. Sogleich erkannte ich Mr. Dees Handschrift. Das Manuskript war
eine Karte, die er teils aus alten Britannienkarten meines Vaters und
teils aufgrund eigener Berechnungen, gestützt auf Seekarten der
Küstenlinie, angefertigt hatte. Mr. Dee hatte diese Karte gemacht, weil
er der Überzeugung war, Englands größter Reichtum läge im Meer um seine
Küsten – der Herzog jedoch benutzte sie zu ganz anderen
Zwecken.
Er hatte kleine Spielfiguren auf der Karte verteilt: ein
Haufen stand auf London, ein größerer auf dem gemalten blauen Meer.
Spielfiguren anderer Farbe befanden sich im Norden des
Landes – Schotten vermutlich –, und wieder eine
andere Gruppe, die an Lord Roberts Schachfiguren, die Bauern,
erinnerte, stand im Osten. Ich verneigte mich tief vor Lord Robert und
seinem Vater.
»Es muss rasch getan werden«, sagte der Herzog mit finsterer
Miene. »Wenn es sofort begonnen wird, bevor irgendjemand Einspruch
erheben kann, dann werden wir rechtzeitig mit dem Norden und mit den
Spaniern fertig – und auch mit jenen unter ihren
Lehensmännern, die ihr die Treue halten.«
»Und sie?«, fragte Lord Robert ruhig.
»Sie kann gar nichts dagegen machen«, erwiderte der Herzog.
»Und wenn sie zu fliehen versucht, wird unsere kleine Spionin uns
warnen.« Bei diesen Worten sah er mich an. »Hannah Green, ich schicke
dich nun in den Dienst der Lady Maria. Du wirst ihr Hofnarr sein, bis
ich dich wieder an den Königshof zurückbeordere. Mein Sohn hat mir
versichert, dass du verschwiegen bist. Ist das wahr?«
Eisige Kälte kroch über meinen
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