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Die Hofnärrin

Die Hofnärrin

Titel: Die Hofnärrin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippa Gregory
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einzunicken, erwartete ich
doch die ganze Nacht den protestantischen Mob, der kommen und dieses
sichere Haus niederreißen würde, so wie er es mit Sawston Hall gemacht
hatte. Meine größte Angst war, in einem Haus gefangen zu sein, in dem
Dach und Treppen lichterloh brannten. Ich wagte nicht, die Augen
zuzumachen, und so war es fast eine Erleichterung, als ich kurz vor
Morgengrauen Hufgetrappel vernahm. Im Handumdrehen war ich auf den
Beinen und zum Fenster gestürzt. Lady Maria wachte auf, doch ich
streckte warnend die Hand aus, bedeutete ihr, sich still zu verhalten.
    »Was siehst du?«, fragte sie leise und schlug die Decke
zurück. »Wie viele Männer sind es?«
    »Nur ein Pferd, und es sieht erschöpft aus.«
    »Geh und sieh nach, wer es ist.«
    Ich eilte die Treppe hinab in die Halle. Der Pförtner hatte
das Guckloch geöffnet und stritt mit dem Reisenden, der Einlass und ein
Nachtlager zu begehren schien. Ich berührte den Pförtner an der
Schulter, und er trat beiseite. Ich musste mich auf die Zehenspitzen
stellen, um durch das Guckloch schauen zu können.
    »Wer seid Ihr?«, verlangte ich zu wissen. Ich machte meine
Stimme so barsch und tief, wie ich nur konnte, täuschte eine
Selbstsicherheit vor, die ich nicht im Mindesten verspürte.
    »Und wer bist du?«, fragte er dagegen. Sogleich erkannte ich
den Tonfall des gebürtigen Londoners.
    »Ihr solltet mir lieber sagen, was Ihr wollt«, beharrte ich.
    Der Mann trat näher an das Guckloch heran und senkte seine
Stimme zu einem Wispern. »Ich bringe wichtige Nachricht für die große
Dame. Es geht um ihren Bruder. Hast du mich verstanden?«
    Es war unmöglich zu erkennen, ob er geschickt worden war, um
uns in die Falle zu locken. Ich ging das Wagnis ein, trat einen Schritt
zurück und nickte dem Pförtner zu. »Lass ihn herein und dann leg den
Riegel wieder vor.«
    Der Mann betrat das Haus. Wie brennend wünschte ich, meine
Gabe herbeizwingen zu können! Ich hätte alles darum gegeben, zu wissen,
ob hinter ihm noch ein Dutzend Bewaffneter steckte, die vielleicht in
diesem Augenblick das Haus einkreisten und in den Heuschobern Feuer
entfachten. Doch mit Sicherheit konnte ich nur erkennen, wie erschöpft
dieser Mann von seinem schnellen Ritt war, und dass es nur die
Aufregung war, die ihn auf den Beinen hielt.
    »Wie lautet die Botschaft?«
    »Ich werde sie niemandem ausrichten als ihr selbst.«
    Seidene Röcke raschelten – Lady Maria kam die Treppe
herunter. »Wer bist du?«, fragte sie schlicht.
    Sein Verhalten bei ihrem Anblick überzeugte mich, dass er auf
unserer Seite war, und dass sich unsere Lage über Nacht verändert
hatte. So rasch wie ein niederstoßender Falke beugte er das Knie, nahm
seinen Hut ab und machte vor ihr eine tiefe Verbeugung.
    Lady Maria zuckte nicht mit der Wimper. Huldvoll reichte sie
ihm die Hand zum Kuss, als sei sie bereits ihr Leben lang Königin von
England.
    »Ich bin Robert Raynes, Goldschmied aus London. Sir Nicholas
Throckmorton schickt mich, Euch zu benachrichtigen, dass Euer Bruder
Eduard tot ist, Euer Gnaden. Ihr seid nun Königin von England.«
    »Gott sei mit ihm«, sagte Lady Maria. »Gott erhalte Eduards
teure Seele.«
    Einen Augenblick lang herrschte Schweigen.
    »Ist er mit dem Segen der Sakramente gestorben?«, fragte sie
dann.
    Robert Raynes schüttelte den Kopf. »Er starb als Protestant.«
    Sie nickte. »Und bin ich nun zur Königin ausgerufen?«, fragte
sie in viel schärferem Ton.
    »Kann ich freiheraus sprechen?«, fragte Raynes.
    »Du bist doch nicht den langen Weg hierhergeritten, nur um in
Rätseln zu sprechen«, lautete ihre trockene Erwiderung.
    »Der König starb unter großen Schmerzen in der Nacht des
Sechsten«, bekannte er leise.
    »Des Sechsten?«, unterbrach sie ihn.
    »Ja. Vor seinem Tod änderte er seines Vaters Testament.«
    »Dazu hatte er kein Recht. Er kann doch nicht die Thronfolge
geändert haben!«
    »Dennoch hat er es getan. Die Krone ist Euch verwehrt und Lady
Elisabeth ebenso. Zur Thronerbin ist Lady Jane Grey bestimmt worden.«
    »Das hat er niemals aus freiem Willen getan.« Sie war ganz
blass geworden.
    Der Mann hob die Schultern. »Er hat es mit eigener Hand
geschrieben, und der Kronrat sowie sämtliche Richter haben zugestimmt
und unterzeichnet.«
    »Der gesamte Kronrat?«, forschte sie nach.
    »Bis auf den letzten Mann.«
    »Und was wurde über mich gesprochen?«
    »Ich soll Euch warnen, dass Ihr des Hochverrats angeklagt
werdet. Lord Robert Dudley ist bereits auf dem Weg,

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