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Die Hofnärrin

Die Hofnärrin

Titel: Die Hofnärrin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippa Gregory
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umgeschlagen. Was immer der Mann Lady Maria erzählt
hatte, es war gewiss nicht, dass ihr Bruder wohlauf war und sie zum
Tanze an seinen Hof lud. Als Lady Maria aus dem Gastzimmer kam, war sie
bleich und hatte rote, verweinte Augen, doch mit dem Kummer hatten sich
auch Zorn und Entschlossenheit eingestellt.
    Sie schickte einen Eilboten nach Süden in Richtung London zum
spanischen Gesandten, den sie um Hilfe bitten wollte: Er sollte den
spanischen Kaiser vorwarnen, dass sie vielleicht seine Hilfe benötigen
würde, um ihren Anspruch auf den Thron durchzusetzen. Einem anderen
Boten gab sie eine mündliche Botschaft an Lady Elisabeth mit –
sie wagte nicht, sie niederzuschreiben, wollte keinesfalls den Eindruck
erwecken, die Schwestern würden ein Komplott gegen den todkranken
Bruder schmieden. »Sprich erst, wenn du mit ihr allein bist«, schärfte
sie dem Boten ein. »Sag ihr, sie darf nicht nach London reisen, es ist
eine Falle. Sag ihr, sie soll sofort zu mir kommen, es ist zu ihrer
eigenen Sicherheit.«
    Des Weiteren schickte sie eine Botschaft an den Herzog selbst,
in der sie angab, zu krank für die Reise zu sein, sie würde daher still
in ihrem Hause in Hunsdon bleiben. Dann befahl sie dem Rest ihres
Gefolges, an Ort und Stelle zu verharren. »Ich nehme Lady Margaret mit
und dich, Hannah«, bestimmte sie und lächelte ihrer Lieblingsgefährtin
Jane Dormer zu. »Folgt uns«, fügte sie hinzu. Dann beugte sie sich
hinab, um Jane das Reiseziel ins Ohr zu flüstern. »Ihr müsst Euch um
mein Gefolge kümmern. Wir werden zu schnell reiten, als dass Ihr mit
uns Schritt halten könntet.«
    Sie wählte sechs Mann zu unserer Eskorte, verabschiedete sich
kurz von ihren Anhängern und schnippte mit den Fingern, damit ihr
Stallmeister ihr in den Sattel half. Sie wirbelte ihr Pferd herum und
ritt voran aus dem Städtchen Hoddesdon hinaus. Diesmal nahmen wir die
Great North Road, um möglichst viel Abstand zu London zu gewinnen.
Langsam zog die Sonne ihre Bahn und senkte sich zu unserer Linken, der
Himmel verlor seine Farbe, und ein kleiner Silbermond ging über den
schwarzen Umrissen der Bäume auf.
    »Wohin reiten wir, Lady Maria? Es dunkelt schon«, fragte Lady
Margaret flehentlich. »Wir können doch nicht im Dunkeln weiterreiten.«
    »Kenninghall«, lautete Lady Marias knappe Antwort.
    »Wo liegt Kenninghall?«, fragte ich, als ich Lady Margarets
entsetztes Gesicht sah.
    »Norfolk«, erwiderte sie in einem Ton, als sei es das Ende der
Welt. »Gott sei mit uns – sie flieht.«
    »Flieht?« Ich spürte, wie sich meine Kehle in der Vorahnung
einer Gefahr zusammenschnürte.
    »Das liegt Richtung Meer. Sie will bei Lowestoft ein Schiff
bekommen und nach Spanien flüchten. Der Mann muss ihr gesagt haben,
dass sie in solcher Gefahr schwebt, dass sie das Land verlassen muss.«
    »Was für eine Gefahr?«, drängte ich.
    Lady Margaret zuckte die Achseln. »Wer weiß? Eine Anklage
wegen Hochverrats? Aber was wird aus uns? Wenn sie nach Spanien flieht,
reite ich nach Hause. Ich bleibe nicht bei einer Herrin, die des
Verrats verdächtigt wird. In England ist es schon schlimm genug, aber
auf keinen Fall gehe ich nach Spanien ins Exil!«
    Ich sagte nichts. Fieberhaft überlegte ich, wo ich am
sichersten aufgehoben wäre: zu Hause bei meinem Vater oder bei Lady
Maria – oder sollte ich ein Pferd nehmen und versuchen, auf
schnellstem Wege zu Lord Robert zu gelangen?
    »Was ist mit dir?«, drängte Lady Margaret.
    Ich schüttelte nur verneinend den Kopf. Meine Stimme versagte
fast vor Angst, während meine Hand verzweifelt über meine Wange rieb.
»Ich weiß es nicht, ich weiß es nicht. Ich nehme an, ich sollte
heimgehen. Aber ich kenne den Weg nicht. Ich weiß nicht, was mein Vater
dazu sagen würde. Ich verstehe nicht, was an dieser Sache Recht und was
Unrecht ist.«
    Sie lachte – ein bitteres Lachen für eine so junge
Frau. »Es gibt kein Recht oder Unrecht«, meinte sie. »Es gibt nur
mutmaßliche Gewinner und Verlierer. Und Lady Maria, die mit sechs
Wachsoldaten, mir und einer Hofnärrin dem Herzog von Northumberland
gegenübersteht, der ein Heer in seinem Rücken hat und den Tower von
London und jede Burg in diesem Königreich, wird in dieser Sache
höchstwahrscheinlich die Verliererin sein.«
    Der Ritt war mörderisch. Erst in tiefster
Nacht kehrten wir in Sawston Hall ein, dem Landsitz des Gentleman John
Huddiestone. Ich bat die Haushälterin um Papier und Feder und schrieb
einen Brief, jedoch nicht an Lord Robert,

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