Die Hofnärrin
Doch kaum stand ich wieder auf den
Beinen, da entfuhr mir ein Schrei. Die Innenseiten meiner Beine waren
von den Knöcheln bis zu den Oberschenkeln wundgerieben, und Rücken,
Schultern und Handgelenke waren völlig verspannt von dem langen Ritt.
Doch wie erschöpft musste erst Lady Maria sein, die während
der letzten Etappe ihrer Flucht auf dem Sattelkissen gesessen
hatte – eine Frau von fast vierzig Jahren und von schlechter
Gesundheit? Doch nur ich sah ihr schmerzverzerrtes Gesicht, als sie vom
Pferd gehoben wurde. Alle anderen sahen nur ein stolz emporgerecktes
Kinn, mit dem ihre zukünftige Königin die Hochrufe entgegennahm, und
das bezaubernde Lächeln der Tudors, mit dem sie alle in die große Halle
bat und ihnen für ihre Ergebenheit dankte. Einen Moment widmete sie dem
schweigenden Gedenken an den toten Bruder, dann hob sie den Kopf und
versprach den Lauschenden, sie werde ihnen als Königin eine ebenso
treue Herrin sein wie zuvor.
Dies trug ihr erneute Jubelrufe ein. Die Halle füllte sich mit
Menschen, denn nun kamen auch die Feld- und Waldarbeiter und die
Dörfler aus ihren Häusern. Die Bediensteten hatten alle Hände voll zu
tun, um die Anwesenden mit Bier und Wein, Brot und Fleisch zu
versorgen. Lady Maria nahm ihren Platz am Kopfende der Halle ein und
lächelte so unbeschwert, als sei sie keinen Tag ihres Lebens krank
gewesen. Nach einer Stunde brach sie plötzlich in Lachen aus und sagte,
sie müsse nun allmählich diesen Umhang und das ärmliche Kleid ablegen,
und verschwand in ihren Gemächern.
Die wenigen Dienstboten hatten geschuftet, um die
herrschaftlichen Zimmer bereitzumachen, und Lady Marias Bett war mit
Leinen bezogen. Es war nur das zweitbeste Bettzeug, doch wenn sie so
müde war wie ich, würde sie auch auf Grobleinen gut schlafen. Die
Diener brachten eine Badewanne herein, legten sie mit Leinentüchern
aus, damit Lady Maria sich nicht an den Splittern verletzte, und gossen
heißes Wasser hinein. Sie trieben sogar einige alte Kleider auf, die
meine Gebieterin bei ihrem letzten Aufenthalt in diesem Haus
zurückgelassen hatte, und breiteten sie zur Auswahl auf dem Bett aus.
»Du kannst gehen«, sagte sie zu mir, während sie den Umhang
des Dienstmädchens von den Schultern gleiten ließ und einer Magd den
Rücken zuwandte, damit diese ihr das Kleid aufschnüren konnte. »Hol dir
etwas zu essen und dann rasch ins Bett. Du musst ja zu Tode erschöpft
sein.«
»Ich danke Euch«, sagte ich und humpelte auf meinen
schmerzenden Beinen zur Tür.
»Und, Hannah?«
»Ja, Lady … Ja, Euer Gnaden?«
»Wer auch immer dich in meinen Dienst geschickt hat, und was
auch immer derjenige sich davon versprochen hat – du bist mir
heute eine treue Freundin gewesen. Das werde ich dir nie vergessen.«
Ich dachte an die beiden Briefe, die ich Lord Robert geschickt
hatte und die ihn auf unsere Spur bringen mussten. Ich sorgte mich, was
dieser entschlossenen, ehrgeizigen Frau geschehen würde, wenn er uns
einholte. Er musste uns ja finden, denn ich hatte ihm unseren
Aufenthaltsort mitgeteilt. Für Lady Maria bedeutete es den Tower und
möglicherweise den Tod wegen Hochverrats. Ich war ihr keine treue
Freundin gewesen. Dass ich wenig Ehre besaß, war ihr nicht unbekannt,
aber von meiner wahren Heuchelei, die mir zur zweiten Natur geworden
war, machte sie sich keine Vorstellung.
Es lag mir auf der Zunge, ihr zu gestehen, dass ich
ursprünglich in ihr Haus geschickt worden war, um gegen sie zu
arbeiten, dass ich aber nun, da ich sie kannte und liebte, alles tun
würde, um ihr zu dienen. Ich wollte ihr gestehen, dass Lord Robert mein
Herr war und dass ich immer an seine Weisung gebunden bleiben würde.
Ich wollte ihr sagen, dass alles, was ich tat, voller Widersprüche zu
sein schien.
Doch ich bekam den Mund nicht auf, und da ich mit der
Gewohnheit aufgewachsen war, Geheimnisse hinter Lügen zu verbergen,
beugte ich nur das Knie vor ihr und neigte den Kopf.
Sie reichte mir nicht die Hand zum Kuss, wie eine Königin es
getan hätte. Stattdessen legte sie ihre Hand auf meinen Kopf, wie es
früher meine Mutter getan hatte. »Gott segne dich, Hannah, und schütze
dich vor der Sünde.«
In diesem Augenblick, unter dieser zärtlichen Berührung, kamen
mir die Tränen. Ich verließ das Zimmer und kletterte hoch zu meiner
kleinen Kammer auf dem Dachboden, ohne etwas gegessen oder mich
gewaschen zu haben. Ich wollte nicht, dass irgendwer mich heulen sah
wie ein kleines Mädchen, das ich im Grunde immer noch
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