Die Hofnärrin
tief durch, um meiner Angst Herr zu werden, und
setzte mich vor den Spiegel. Ich hörte John Dees gemurmeltes Gebet und
sprach das »Amen« nach. Dann schaute ich in den dunklen Spiegel.
Ich hörte mich selbst sprechen, verstand jedoch kein Wort. Ich
hörte das Kratzen seiner Feder, die meine Worte niederschrieb. Ich
hörte mich Zahlenreihen aufsagen und fremdartige Worte, die ein
fantastisches Gedicht mit eigenem Rhythmus und fremdartiger Schönheit
waren, aber die Bedeutung versagte sich mir. Dann hörte ich meine
Stimme, sehr deutlich in Englisch: »Da wird ein Kind sein und doch kein
Kind. Da wird ein König sein und doch kein König. Da wird eine
jungfräuliche Königin sein, von allen vergessen. Da wird sein eine
Königin, jedoch keine Jungfrau.«
»Und Robert Dudley?«, flüsterte John Dee.
»Er wird einen Prinzen hervorbringen, der die Geschichte der
Welt verändern wird«, flüsterte ich zurück. »Und er wird, von einer
Königin geliebt, friedlich in seinem Bette sterben.«
Als ich wieder zu mir kam, stand John Dee
neben mir und reichte mir ein Getränk, das nach Obst schmeckte, mit
einem Nachgeschmack nach Metall.
»Wie fühlst du dich?«, fragte er mich.
Ich nickte. »Ganz gut. Ein wenig schläfrig.«
»Du solltest besser in den Palast zurückgehen«, meinte er.
»Sonst werden sie dich vermissen.«
»Werdet Ihr nicht kommen und Lady Elisabeth aufsuchen?«
Er überlegte. »Ja, sobald ich sicher bin, dass ich es
ungefährdet tun kann. Du kannst Lord Robert ausrichten, dass ich seinen
Wünschen nachkommen und der Sache dienen werde und dass auch ich
glaube, dass die Zeit reif ist. Ich werde sie beraten und in dieser
Zeit des Umbruchs ihr Bindeglied sein. Aber ich muss mich vorsehen.«
»Habt Ihr denn keine Angst?«, fragte ich, an meine eigene
Furcht vor Entdeckung denkend, an meine Angst vor dem mitternächtlichen
Pochen an der Tür.
»Nicht sehr«, erwiderte John Dee. »Ich habe mächtige Freunde.
Ich habe Pläne zu erfüllen. Die Königin trachtet danach, die Klöster
wieder aufzubauen, und auch deren Bibliotheken müssen ja restauriert
werden. Es ist meine gottgewollte Pflicht, die alten Bücher zu finden
und wieder in die Regale zu stellen, den Gelehrten die alten
Handschriften wieder zugänglich zu machen. Und ich hoffe, noch zu
erleben, wie gemeine Metalle in Gold verwandelt werden.«
»Der Stein der Weisen?«, fragte ich neugierig.
Er lächelte. »Dieses Mal ist es als Rätsel gemeint.«
»Was soll ich Lord Robert sagen, wenn ich ihn noch einmal im
Tower besuche?«
John Dee sah nachdenklich drein. »Sag ihm nicht mehr, als dass
er friedlich im Bette sterben wird, als Geliebter einer Königin«, sagte
er. »Du hast es gesehen, obwohl du nicht wusstest, was du sehen
konntest. Dies ist die Wahrheit, auch wenn sie im Augenblick unmöglich
erscheint.«
»Und seid Ihr sicher?«, drängte ich. »Seid Ihr sicher, dass er
nicht hingerichtet wird?«
Er nickte. »Ich bin sicher. Es gibt noch viel zu tun, und die
Zeit einer goldenen Königin wird kommen. Lord Robert ist nicht der
Mann, der jung sterben und sein Werk nicht vollenden wird. Und ich sehe
eine große Liebe für ihn voraus, die größte Liebe seines Lebens.«
Ich wartete, konnte kaum atmen. »Wisst Ihr, wen er lieben
wird?«, brachte ich flüsternd heraus.
Keinen Augenblick glaubte ich, es könne sich um mich handeln.
Wie denn auch? Ich war ja sein Vasall, sein holder Knabe. Er lachte
über die naive Verehrung des jungen Mädchens und bot an, mich
freizugeben. Nicht einmal in diesem Moment, als John Dee Lord Robert
eine große Liebe prophezeite, hätte ich dies auf mich bezogen.
»Er gewinnt die Liebe einer Königin«, sagte John Dee. »Er wird
die große Liebe ihres Lebens sein.«
»Aber sie soll doch Philipp von Spanien heiraten!«, wandte ich
ein.
Er schüttelte den Kopf. »Ich sehe keinen Spanier auf dem Thron
von England«, prophezeite er. »Und viele andere sehen das genauso.«
Es war schwer, mit Lady Elisabeth zu
sprechen, ohne dass der halbe Hof davon Wind bekam. Obwohl sie bei Hofe
keine Freunde hatte und ihr Haushalt nur wenige Menschen umfasste,
schien sie doch ständig von zufälligen Besuchern umgeben, und die
Hälfte von ihnen wurde dafür bezahlt, sie auszuspionieren. Der
französische König hatte seine Agenten in England, und auch der
spanische Kaiser unterhielt ein Netz von Beziehungen. Sämtliche
mächtigen Männer hatten Mägde und Knechte in anderen Herrscherhäusern
untergebracht, um über sämtliche
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