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Die Hofnärrin

Die Hofnärrin

Titel: Die Hofnärrin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippa Gregory
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wiedergesehen.
    Die Tür im Obergeschoss stand offen. John Dee winkte mich in
sein Zimmer. Am Fenster stand sein Studiertisch, auf dem ein
wunderschönes fremdartiges Instrument aus Messing stand. Die
Einrichtung wurde vervollständigt durch einen großen Eichentisch, auf
dem sich Papiere, Lineale, Bleistifte, Federn, Tintenfässer und
Schriftrollen häuften, die mit vielen Zahlen in winziger Schrift
bedeckt waren.
    Ich gestattete mir nicht, neugierig zu sein, bevor ich mich
vergewissert hatte, dass dieses Haus sicher war. »Werdet Ihr gesucht,
Mr. Dee? Soll ich lieber wieder gehen?«
    Er lächelte nur und schüttelte den Kopf. »Ich bin
übervorsichtig«, bekannte er freimütig. »Mein Vater ist zum Verhör
abgeführt worden, aber er ist ja auch ein bekanntes Mitglied eines
geistigen Zirkels protestantischer Richtung. Gegen mich hat niemand
etwas in der Hand. Ich war nur erschrocken, als du plötzlich vor meiner
Tür standest.«
    »Kann mir hier auch nichts geschehen?«, bedrängte ich ihn.
    Er lachte leise. »Hannah, du bist wie eine junge
Hirschkuh – nervös und jederzeit bereit zur Flucht. Beruhige
dich. Dieses Haus ist sicher.«
    Ich nahm mich zusammen und sah mich im Zimmer um. John Dee
folgte meinem neugierigen Blick zu dem Instrument am Fenster.
    »Was glaubst du, was das ist?«, fragte er.
    Ich schüttelte nur verwirrt den Kopf. Es war ein wundersames
Gebilde, mit keinem Instrument zu vergleichen, das ich kannte. Es war
ganz aus Messing gefertigt. In der Mitte stak eine Kugel von der Größe
eines Taubeneis auf einem Rohr, darum schlang sich ein Messingring, der
so kunstvoll mit zwei anderen Ringen verbunden war, dass er sich drehen
konnte, und an diesem Ring befand sich eine bewegliche Kugel. Es folgte
ein weiterer Ring mit einer Kugel und noch einer. Das Gebilde bestand
aus mehreren Messingringen mit Kugeln, und die am weitesten vom Zentrum
entfernte Kugel war die kleinste.
    »Dies«, sagte John Dee leise, »ist ein Modell der Welt. So hat
unser Schöpfer, der große Zimmermannsmeister des Himmels, unsere Welt
geschaffen und in Bewegung gesetzt. Dieses Gebilde beinhaltet das
Geheimnis, wie der Geist Gottes arbeitet.« Er beugte sich vor und
berührte leicht den ersten Ring. Wie durch Zauberei fingen nun alle
Kugeln an, sich zu bewegen, jede mit der ihr eigenen Geschwindigkeit in
ihrer eigenen Umlaufbahn; manchmal trafen sich die Kugeln, manchmal
überholten sie einander. Nur das kleine goldene Ei in der Mitte bewegte
sich nicht.
    »Wo ist unsere Welt?«, fragte ich.
    John Dee lächelte. »Hier.« Er zeigte auf das goldene Ei in der
Mitte. Dann wies er auf den nächstäußeren Ring mit seiner langsam
kreisenden Kugel. »Das ist der Mond.« Er zeigte auf den nächsten. »Das
ist die Sonne.« Sein zeigender Finger wanderte weiter nach außen. »Dies
sind die Planeten, und jenseits von ihnen sind die Sterne, und
dies …«, er schwenkte zu einem Ring, der anders war als die
übrigen, einem Ring aus Silber, der auf seine erste Berührung reagiert
und alle anderen nach und nach in Bewegung versetzt hatte.
»… dies ist das primum mobile. Es
ist Gottes Berührung der Welt, symbolisiert durch diesen Ring, die
Bewegung, die zum Anfang der Welt führte. Dies ist das WORT. Es ist die
Offenbarung des Gotteswortes ›Es werde Licht‹.«
    »Licht«, wiederholte ich leise.
    John Dee nickte. »›Es werde Licht.‹ Wenn ich wüsste, wodurch
es in Bewegung gesetzt wird, würde ich das Geheimnis aller Bewegungen
des Himmels kennen«, sagte er. »Mit diesem Modell kann ich die Rolle
Gottes spielen. Doch welche Kraft lässt im wirklichen Himmel die
Planeten kreisen, welche Kraft bewirkt, dass die Sonne die Erde
umkreist?«
    Er wartete auf meine Antwort, wohl wissend, dass ich ihm keine
geben konnte, da niemand auf Erden eine Antwort darauf kannte. Ich
schüttelte nur verwirrt den Kopf. Ich war wie betäubt von den
Bewegungen der goldenen Kugeln an ihren goldenen Ringen.
    John Dee streckte eine Hand aus und brachte das Modell zum
Halten, schaute zu, wie es allmählich langsamer wurde und schließlich
ganz stoppte. »Mein Freund Gerhard Mercator hat dieses Modell für mich
angefertigt, als wir beide noch Studenten waren. Er wird eines Tages
ein großer Kartograph werden, dessen bin ich sicher. Und
ich …« Er brach ab. »Auch ich werde meinen Weg gehen«, fuhr er
fort. »Wo immer er mich hinführt. Ich muss einen kühlen Kopf bewahren
und allem Ehrgeiz entsagen und in einem Land leben, das nüchtern ist
und frei. Ich

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