Die Hofnärrin
Veränderungen und jeglichen drohenden
Verrat informiert zu werden, und auch unsere Königin baute ein Netz von
bezahlten Informanten auf. Soweit ich wusste, stand bei ihr ein Mensch
in Lohn und Brot, um über mich zu berichten, und dieser Verdacht machte
mich krank vor Angst. Es war eine Welt voller Argwohn und
vorgetäuschter Freundschaft, die mich an John Dees Modell der Erde mit
ihren Trabanten, den Planeten, erinnerte. Die Prinzessin war wie die
Erde, das Zentrum von allem, doch die Sterne an ihrem Firmament
beobachteten sie neidisch und wünschten ihr nur das Schlimmste. Mich
nahm es nicht wunder, dass sie immer blasser wurde und die Schatten
unter ihren Augen bald dunkelviolett wie Blutergüsse wirkten. Die
Feindseligkeit der Königin wuchs mit jedem Tag, den Elisabeth mit hoch
erhobenem Kopf durch den Hof wandelte, mit jedem Mal, wenn sie sich von
der Statue unserer Muttergottes in der Kapelle abwandte, oder wenn sie
ihren Rosenkranz vergaß und stattdessen an einer Kette an ihrem Kleid
das winzige Gebetbuch trug. Jeder wusste, dass dieses Gebetbuch das
Totengebet ihres Bruders enthielt: »O Herr, du mein Gott, beschütze
dieses Reich vor dem Papistentum und erhalte ihm den wahren Glauben.«
Dieses Gebetbuch zu tragen statt den Rosenkranz aus Korallen, den ihr
die Königin geschenkt hatte, war mehr als ein öffentlicher Akt des
Trotzes, es war ein lebendes Bild des Ungehorsams.
Für Elisabeth war es möglicherweise kaum mehr als eine
prahlerische Rebellion, doch für unsere Königin war es eine
Beleidigung, die ihr ins Herz schnitt. Wenn die Prinzessin in
prächtigem Gewand ausritt und den Menschen lächelnd zuwinkte, brachte
die Menge Hochrufe aus und warf die Hüte hoch. Wenn sie hingegen bei
den Diners im Whitehall-Palast am Tisch der Königin schlichtes Schwarz
und Weiß trug, tuschelten die Menschen über ihre zerbrechliche
Schönheit und die schlichte protestantische Gesinnung, die ihr Kleid
zum Ausdruck brachte.
Die Königin musste also erkennen, dass Elisabeth, obwohl sie
ihr nie öffentlich trotzte, doch ständig den Klatschbasen Nahrung gab.
Außerhalb des Hofes wurden Bemerkungen unter den treuesten Anhängern
des protestantischen Glauben ausgetauscht:
»Die protestantische Prinzessin war heute sehr blass und
konnte sich nicht einmal zum Weihwasserbecken bücken.«
»Die protestantische Prinzessin hat sich für die Abendmesse
entschuldigen lassen, weil es ihr wieder so schlecht geht.«
»Die protestantische Prinzessin, die im Grunde eine Gefangene
an diesem papistischen Hof ist, hält beharrlich an ihrem Glauben fest
und trotzt den Fängen des Antichristen.«
»Die protestantische Prinzessin ist eine wahre Märtyrerin
ihres Glaubens, und ihre unansehnliche Schwester ist so grausam wie
eine Meute Hunde auf der Bärenhatz, die das reine Gewissen der jungen
Frau verfolgt.«
Die Königin, strahlend in prächtigen Kleidern und mit dem
Schmuck ihrer Mutter, wirkte geschmacklos herausgeputzt neben
Elisabeths flammenden roten Haaren, ihrer märtyrerhaften Blässe und der
äußersten Bescheidenheit ihres schwarzen Kleides. Was die Königin auch
anziehen mochte – Elisabeth, die protestantische Prinzessin,
strahlte in der vollkommenen Schönheit eines Mädchens auf der Schwelle
zur Frau. Die Königin, die alt genug war, um ihre Mutter zu sein,
wirkte daneben müde und erdrückt von der Aufgabe, die sie ererbt hatte.
Deshalb konnte ich nicht einfach bei Elisabeths Gemächern
vorsprechen. Da hätte ich gleich den spanischen Gesandten fragen
können, der Elisabeth auf Schritt und Tritt verfolgte und seine
neuesten Kenntnisse unverzüglich der Königin überbrachte. Doch eines
Tages, als ich hinter Elisabeth durch die Galerie schritt, stolperte
sie. Ich eilte an ihre Seite und bot ihr meinen Arm, den sie dankbar
nahm.
»Der Absatz an meinem Schuh ist abgebrochen, ich muss ihn zum
Schuster bringen lassen«, sagte sie.
»Lasst Euch von mir stützen. Ich bringe Euch in Eure
Gemächer«, sagte ich laut – und fügte flüsternd hinzu: »Ich
habe eine Nachricht für Euch von Lord Robert Dudley.«
Die Prinzessin sah mich nicht einmal an. Diese absolute
Selbstbeherrschung zeigte mir, welch erfahrene Intrigantin sie war und
dass die Königin sie völlig zu Recht fürchtete.
»Ich kann ohne die Erlaubnis meiner Schwester keine
Botschaften empfangen«, gab Elisabeth mir gespreizt zu verstehen. »Aber
es wäre nett, wenn du mir hilfst, denn ich habe mir wohl den Fuß
verstaucht.«
Sie bückte sich und zog
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