Die hohe Kunst des Bankraubs: Roman (German Edition)
…«
»Scheiße, Mann, wovon redest du eigentlich?«
»Meinst du, eure Kommunikationskanäle aus Folsom fließen nur in eine Richtung? Die sind wie das Wall Street Journal des Verbrechens: Ob man will oder nicht, man hört jeden Tag, wessen Aktien steigen und mit wem es bergab geht. Und es ist kein Geheimnis, dass die SS Estobal unter Kapitän Alessandro kein glückliches Schiff ist. Hey, ist schon okay, verteidigt ihn doch nicht alle auf einmal! Ich sag’s ihm schon nicht.«
Innez grinste, da er erkannt hatte, dass Harry ihn nicht mal pro forma verteidigen würde.
»Alessandro ist jung und unerfahren«, sagte Harry. »Aber er ist der Kopf der Estobals, das darfst du nie vergessen. Unsere Organisation ist stark genug, um ein paar Kratzer zu überstehen, während der Junge lernt, wie der Hase läuft.«
»Blödsinn, Harry. Klar ist Alessandro der Kopf der Estobal-Organisation, aber die ist nicht allein auf der Welt. Andere Parteien beobachten euch aufmerksam. Einige machen sich Sorgen, und andere reiben sich schon die Hände. Er hat euch alle auf raue See manövriert, und der schnellste Weg in ruhigere Gewässer führt über Glasgow. Das weiß Alessandro genauso gut wie du. Und keine Frage, wenn das Schiff mit Mann und Maus untergeht, stell ich mich ans MG , nehm die Rettungsboote aufs Korn und lach mich kaputt, während ihr Schweine absauft. Aber wenn ich euch retten muss, damit mein Freund am Leben bleibt, dann ist es eben so. Ich weiß, was ich tun muss, du weißt, was du tun musst, und er weiß, was er tun muss.«
»Dann bleiben wir wohl alle über Weihnachten in Glasgow.«
»Dann frohes Neues.«
Alchemie
Angelique wartete allein im verglasten Foyer des Dalriada Museums und war sich nur einer Sache sicher: Niemand anders konnte ihre Fragen beantworten. Die letzten Tage waren lang und beunruhigend leer gewesen. Manchmal verblassten große Ereignisse schnell wieder oder wirkten wie ferne Träume, wenn man zurück im Alltag angekommen war. Der kurze Ausflug nach Paris hallte aber in ihren Gedanken, ihren Gefühlen und ihrem Körper greifbar nach. Wenn sie die Augen schloss, konnte sie immer noch seine Stimme hören, ihn vor der Mona Lisa stehen sehen und seine Hand in ihrer spüren.
Seitdem war ihr alles hohl vorgekommen. Sie machte sich keine falschen Hoffnungen: In Paris am Flughafen hatten sie klargestellt, dass sie nach der Landung in Glasgow wieder ihrer getrennten Wege gehen und ihre gegensätzliche Arbeit tun würden, aber dennoch wartete sie auf irgendetwas. Die Unsicherheit besuchte sie wie eine alte Schulfreundin – vertraut, unausweichlich und so willkommen wie ein Pfarrer bei der Pride Parade. Um sie zu vertreiben, hatte sie Nachforschungen angestellt, bei Interpol ein paar Gefallen eingefordert und war so an seine amerikanische Akte gekommen. Da stand alles drin: der gescheiterte Raub im Gigliotti, die Todesfälle von Prison Officer Creedie und dem Gefangenen Marsh in Folsom, Innez’ kürzliche Entlassung und die andauernde Haft eines gewissen Dexter Parnell. Zal Innez war zwar nicht unbedingt vertrauenswürdig, aber er hatte nicht gelogen.
Schließlich hatte das Warten ein Ende, und sie bekam den einenAnruf, den sie seit ihrer Rückkehr jedes Mal ersehnt hatte, wenn das Telefon klingelte. Er wollte sich mit ihr treffen und schlug das Dalriada Museum als öffentlichen und angemessenen Ort vor.
Das war jetzt drei Tage her, also hatte Dougnacs Angebot ihr wenigstens etwas anderes zum Nachdenken gegeben. Nichts vollendete das Gefühl von Verlorenheit und Einsamkeit so sehr wie die Möglichkeit, einfach abzuhauen und alles Vertraute zurückzulassen.
Sie stand mitten in der Eingangshalle unter der Marmorbüste von John Milton Horsburgh, die den Besucherstrom zu seiner umfangreichen Hinterlassenschaft zufrieden überwachte. Das öffentliche Museum wurde von der Stadt getragen, aber Horsburgh hatte einen bedeutenden Treuhandfonds eingerichtet, der die Ausstellung und den Unterhalt seiner Sammlung finanzierte, da er wohl nicht damit gerechnet hatte, dass der Staat jemals selbst für solche Kunstpaläste aufkommen würde. Deshalb kostete das Museum die Stadt weit weniger als vergleichbare Einrichtungen, was manche Leute natürlich nicht daran hinderte, über das Geld zu jammern, das doch noch dafür ausgegeben wurde. Sie hatte gelesen, dass die üblichen religiösen Schwachköpfe sich gerade über die Kosten der aktuellen Ausstellung History of Allegory das Maul zerrissen. Für die ganze
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