Die hohe Kunst des Bankraubs: Roman (German Edition)
man noch schaffen? Auch ohne Dubh Ardrain hätte sie sich dieselben Fragen gestellt und nur dieselben verbitterten Antworten geben können.
Ganz sicher war aber, dass sie jetzt allein sein musste, und das ging ihrer Erfahrung nach nirgends besser als mitten unter 50 000 anderen Leuten. Das war gar nicht so dumm, wie es sich anhörte: Wenn man ohne Begleitung zum Fußball ging, fühlte man sich manchmal in der Menschenmenge so isoliert wie nirgendwo sonst. Und zwar nicht nur, wenn man zwei-null zurücklag. Auch nicht unbedingt deshalb, weil man das einzige braune Gesicht in einem Meer aus Weiß war (bis auf die zahllosen Aspekte, die nur darauf beruhten, dass man das einzige braune Gesicht in noch einem weiteren Meer aus Weiß war).
Selbst wenn – oder doch gerade, weil – sich 50 000 Leute um einen herum dasselbe ansahen, dasselbe spürten und sich dasselbe wünschten, fühlte man sich manchmal völlig isoliert. Denn egal, ob man zu 50 000 oder allein war, waren alle doch nur hilflose Beobachter, die ihre Gefühle von dem Ergebnis eines Wettstreits zwischen anderen abhängig machten. Vielleicht war es anders, wenn man mit seinen zehn besten Freunden da war (vielleicht aber auch überhaupt nicht), aber Angelique kam es vor, als wäre ihr Kontakt zu allen um sie herum eingefroren, bis gewisse Dinge sich geklärt hatten, und das konnte ein spannender Zweikampf oder auch ein ganzes Spiel sein.
Manchmal konnte sie sich im Spiel verlieren, manchmal verlor sie sich einfach so. Das Spiel musste kein Klassiker sein, auch ein langweiliges reichte oft aus, und sie driftete an einen völlig einsamen Ort, von dem aus sie auf das Stadion hinabschaute, auf die Spieler und sich selbst. Mal beschäftigten sich ihre Gedanken nur mit Spielzügen, Taktik, notwendigen Auswechslungen und ersehnten Kontern, mal leerte sich ihr Kopf vollständig, bis das Spielgeschehen sie wieder aufschreckte. Beim Abpfiff kam es ihr aber immer so vor, als würde ihr Gehirn neu starten: Anfangs wurdendann nur die wichtigsten Elemente wiederhergestellt, was ihr ein wertvolles Zeitfenster der Klarheit und Perspektive schenkte, bevor der ganze Alltagswust geladen wurde.
Sie war immer alleine zum Fußball gegangen. Schon bevor die Tyrannei der Dauerkarten alle Leute auseinandersetzte, die nicht mindestens neun Monate vorher die vollen zwanzig Heimspiele der Saison gebucht hatten. Angelique wurde durch diese Regelung allerdings nicht von irgendwelchen Freunden getrennt. In ihrem direkten Umfeld befanden sich zwar einige Nick- (und gelegentlich auch Umarm-)Bekanntschaften, aber sie wusste über diese Leute nichts außer ihrem Lieblingsverein und ihren Meinungen über einige der hoch bezahlten Trikotträger. Die, mit denen sie jeden zweiten Samstag (zumindest jeden zweiten Samstag, an dem sie nicht arbeiten musste) zusammensaß, wussten sonst nichts über sie, und die meisten von denen, die sie besser kannten, wussten nicht, was sie jeden zweiten Samstag machte.
Das lag daran, dass Angelique de Xavia Rangers-Fan war.
Nein, keine Angst.
Nicht so ein Rangers-Fan. Kein katholikenfeindlicher, rechter, BNP -wählender, antiirischer, monarchistischer, triumphalistischer, rüpelhafter, arroganter, ignoranter, Schärpe, Melone und Crimplene-Hose tragender, UVF -tätowierter, flötespielender, King-Billy-Porträt auf dem Kaminsims, erst-Fan-seit-Souness-angeheuert-wurde-schwört-aber-er-war-schon-Anfang-der-Achtziger-dabei, weg-wie-nix-wenn-sie-verlieren, kann-keinen-Spieler-außerhalb-der-Old-Firm-nennen, Union-Jack-schwenkender, schottlandhassender, hitlergrüßender Rohrbombenwerfer, der die Zahnpastatube von oben ausdrückt und im vollen Aufzug furzt.
Natürlich nicht.
Nicht so einer, der die schlimmsten Züge und Eigenschaften einzelner Personen in einer sehr großen Gruppe willkürlich allen Mitgliedern dieser Gruppe zuschreibt. Nein. So jemand wäre nämlich ein Fanatiker.
Nur sehr wenige von Angeliques Freunden und noch weniger von ihren Kollegen wussten, dass sie sich für Fußball interessierte, und schon gar nicht, dass sie ein Teddy Bear war. Als sie jünger war, hatte sie es sogar vor James verheimlicht, bis sie irgendwann nicht mehr konnte und ihm das selbstgerechte Celtic-Fan-Großmaul stopfte. Seltsamerweise verstanden sie sich seit dieser jugendlichen Enthüllung deutlich besser, außer natürlich an Tagen, an denen die beiden Teams gegeneinander spielten. Und sie musste sich seitdem den Spitznamen »Kampala Loyal« gefallen
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