Die hohe Kunst des Bankraubs: Roman (German Edition)
lassen.
Als Erwachsene konnte sie sich allerdings nur selten dazu durchringen, dieses Geheimnis zu verraten, wobei sie für verschiedene Personengruppen verschiedene Gründe hatte. Ihr Umfeld abseits vom Arbeitsplatz weihte sie nicht ein, weil sie einfach keine Lust auf die Hinweise, Erklärungen, Entschuldigungen, Korrekturen, auf das ganze ideologische Entlausungsprogramm hatte, das immer folgte, wenn man in dünkelhaft-liberaler, aufstrebend-intellektueller Gesellschaft zugab, dass man Rangers-Fan war. Am Arbeitsplatz mied sie generell das Thema Fußball, weil sie das billige Kameradschaftsgefühl hasste, das dann so schnell aufkam. Sie würde niemals etwas tun, was als krampfhafter Versuch ausgelegt werden könnte, bei den Jungs dazuzugehören. So wurde man schnell akzeptiert und gemocht: Selbst die Celtic-Fans unter ihren Kollegen würden sicher sagen, dass sie sie besser »verstanden«, wenn sie wüssten, dass sie Fußball mochte, und diese Vorstellung fand sie unerträglich. Wenn diesen Leuten alle ihre Stärken egal waren, sie dann aber plötzlich als »in Ordnung« gelten würde, weil sie den richtigen Verein bzw. überhaupt einen anfeuerte, dann konnte sie sehr gut auf deren Anerkennung verzichten.
Am Arbeitsplatz fiel es ihr also umso leichter, diesen Teil ihres Lebens zu verschweigen, weil sie das als moralische Notwendigkeit verstand. Aber genau dieses Moralverständnis erschwerte es ihr, in der Freizeit den Mund zu halten. Als Polizistin wusste Angelique nur zu gut über die Dinge Bescheid, zu denen manche der üblen Gestalten fähig waren, die sich als Anhänger des Rangers Football Club bezeichneten, und als Dauerkarteninhaberin hatte sie auch schon alle der weniger freundlichen Gesinnungen,Meinungen, Ansichten und Ideologien gehört, die an Spieltagen durchs Ibrox Stadion gegrölt wurden. Sie hatte hingenommen, dass in der öffentlichen Wahrnehmung nur die schlimmsten Bilder von Rangers-Fans haften blieben, so unfair und wenig repräsentativ das auch war (Aufnahmen von 50 000 braven Bears, die zum Spiel gingen, es schauten und dann wieder nach Hause gingen, machten eben kein spannendes Fernsehen aus, schon gar nicht, wenn es jede Woche passierte). Sie wusste, dass das wiederholte Absingen eines Songs darüber, dass man »up to our knees in Fenian blood« stand, kein geschickter PR -Schachzug war, wenn für die meisten Leute in diesem Erdteil das Wort »Fenian« ein abschätziger Ausdruck für Katholiken war und nicht, wie eine eingeweihte Minderheit es besser wusste, eine Anspielung auf New Yorker Politiker aus dem frühen zwanzigsten Jahrhundert und deren Anhänger. Sie wusste, dass die Flachköpfe, die bei Auswärtsspielen den rechten Arm waagerecht auf Schulterhöhe vor sich ausstreckten, sich nicht wundern durften, wenn Beobachter das für einen Nazi-Gruß hielten (und nicht für eine Solidaritätsgeste mit den Ulster Loyalisten; da gab es einen wichtigen Unterschied: Die einen waren brutale Rechte im Rassenwahn, die anderen waren Deutsche). Sie hatte hingenommen, dass sie mit der Enthüllung ihrer Anhängerschaft auch immer ein gewisses Maß an Beschwichtigungsarbeit leisten musste, was eben der Nachteil davon war, wenn man einen riesigen, reichen, berühmten und extrem erfolgreichen Verein anfeuerte (St-Mirren-Fans müssen sich z. B. selten für die rassistischen Beschimpfungen Ruud Gullits bei Feyenoords Besuch in der Love Street 1983 entschuldigen). Als fairer Mensch mit Prinzipien konnte sie all das hinnehmen, zumal sie wusste, dass die Leiden eines missverstandenen Fußballfans nicht unbedingt als Inspiration für ein Buch von Thomas Keneally reichen würden.
Sie konnte aber nicht hinnehmen, dass dieselben Regeln, Werte und Annahmen bei den Pseudo-Paddy-Wichsern am anderen Ende der Stadt nicht galten, die sich bei der geringsten Gelegenheit lautstark zu ihrem Verein bekennen konnten, ohne dafürjegliche Ausgrenzung befürchten zu müssen. Die Fangemeinde bestand aus genauso vielen Kleinkriminellen, Großmäulern, Fanatikern und Extremisten, und der Verein hatte genauso viele Leichen im Keller, doch wurden die einzelnen Celtic-Fans in besseren Kreisen nicht persönlich für sie verantwortlich gemacht, wie es bei den Rangers der Fall war. Es wurde sogar eher als Zeichen linker Integrität gewertet, als Sympathie für den Außenseiter (wobei natürlich außer Acht gelassen wurde, dass Celtic in Schottland an einundvierzigster Stelle auf der Warteliste zum echten Außenseiter stand).
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