Die hohe Kunst des Bankraubs: Roman (German Edition)
über den Kopf.
»Nicht so etwas Sperriges. Da bleib ich doch überall hängen. Geben Sie mir eine Pistole und so viele Ersatzmagazine, wie Sie haben.«
Ein anderer Kollege trat vor und übergab ihr gehorsam seine Walther P990. »Da ist ein vierziger Kaliber im Magazin und keine neun Millimeter«, fing er an, »das heißt, es sind nur zwölf …«
Er wurde von einem bösen Blick weit höheren Kalibers ruhiggestellt.
»Officer de Xavia benötigt keine Waffen-Einweisung«, erklärte McMaster höflich.
Angelique warf das Magazin aus, prüfte den Schlitten, schlugdas Magazin wieder hinein und lud die Waffe durch. Dann nahm sie die anderen Magazine und steckte sie in die Polstertasche.
»Fertig?«, fragte McMaster.
»Noch nicht. Ein zentraler Ausrüstungsgegenstand fehlt mir noch. Hat jemand ein Gummiband dabei?«
»Was?«
Die Einsatzkräfte sahen einander hilflos an, aber eine der beiden Frauen im Transporter gab ihr eine Handvoll aus einem Behälter an der Wand.
»Danke«, sagte Angelique und band sich mit einem davon einen Pferdeschwanz, bevor sie das Headset aufsetzte.
» Jetzt bin ich fertig.«
Der Gentleman-Räuber
Michelles Überlegungen hatten zwar ergeben, dass inkompetente Bankräuber sicher gefährlicher waren als kompetente, aber sie wusste überhaupt nicht, was von verrückten zu halten war. Das Attribut »verrückt« wurde im jüngeren Sprachgebrauch ähnlich inflationär und selten angemessen angewendet wie »Albtraum« und »ironisch«. »Du musst unbedingt meine Freundin Mandy kennenlernen, die ist total verrückt.« »Bei uns im Pub sind sie alle total verrückt, Mann!« »Du hättest echt zu Eileens Party kommen sollen, da war’s echt verrückt.« Den normalsten und langweiligsten Leuten wurde als Kompliment zu ihrer Persönlichkeit dieser Status zugestanden. Auslöser dafür war meistens eine unbedeutende Eigenart oder ein heiteres gemeinsames Erlebnis (bei dem in der Regel Alkohol im Spiel war). Alle waren »verrückt«. Freunde waren verrückt, Verwandte waren verrückt, Kollegen waren verrückt und Fernsehmoderatoren waren verrückt. Waren sie bloß alle nicht. Eigentlich sollte damit nur ausgedrückt werden, dass der Sprecher die Person zumindest einigermaßen interessant fand.
Die Leute, die gerade Michelles Bank ausraubten dagegen, waren wirklich absolut wahnsinnig.
Langsam aber sicher war sie mit jeder weiteren Entwicklung zu diesem Schluss gekommen, aber ganz sicher war sie sich in der letzten halben Stunde geworden. Während Ionesco sich immer noch am Safe zu schaffen machte, hatte Chagall die etwas unorthodoxe Aufgabe übernommen, die Geiseln zu unterhalten, wozuer im Dialog mit seinem »Publikum« berühmte Kunstwerke auf den weißgesprühten Fenstern nachmalte.
Als Erstes zeichnete er eine verzweifelte Gestalt auf einer Brücke, die Hände an den Kopf gehoben, mit zwei weiteren menschlichen Silhouetten im Hintergrund. Michelle erkannte das Bild, hatte aber nicht gewusst, dass es Der Schrei hieß, bevor Chagall diese Antwort von einem der Bankkunden bekam. Dann ergänzte er das Bild um einen riesigen Ghettoblaster, den eine der Figuren im Hintergrund über der Schulter trug, und bat um Ideen, was er wohl spielte. Die Wahl fiel auf den Vorschlag My Heart Will Go On, was für die Nachwelt neben ein paar aufsteigenden Noten verewigt wurde.
Danach zeichnete er auf einer der Flügeltüren einen an einem Baum zusammengesackten, von Pfeilen durchbohrten Mann mit einem seltsam heiteren Gesichtsausdruck. Derselbe Kunde, anscheinend ein Kunstkenner, erkannte es als Martyrium des heiligen Sebastian, und schon begann der Wettbewerb um die beste Sprechblase. »Daneben!«, fand die meiste Zustimmung, die mit mehr Gelächter geäußert wurde, als Michelle es sich bei einer Geiselnahme erwartet hätte.
Auf die zweite Flügeltür zeichnete er »mit einer herzlichen Entschuldigung an Van Eyck« eine hochschwangere Frau, die vor einem Mann in mittelalterlicher Kleidung stand. Diesmal kam es zu recht anzüglichen Sprechblasen-Vorschlägen. (»Ich lass die Mittelalter-Babes nie wieder mit Oasis auf Tour gehen«, wurde diesmal ausgewählt.)
Schließlich zauberte er auf das rechte Fenster noch ein Gemälde, das Michelle wiedererkannte: eine Gruppe Toter und Sterbender auf einem sturmumtosten Boot. Der Sprecher der Rangers-Fans nahm es als Beweis für seine zuvor ausgesprochene These. »Hab doch gesagt, das sind Katholen, verdammte Scheiße! Der malt doch das Albumcover von dieser irischen
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