Die hohe Kunst des Bankraubs: Roman (German Edition)
bist du?«
Nichts als Stille. Sie schaute den Gang entlang. Die Türen zu beiden Seiten waren größtenteils angelehnt, und manche standen weit offen.
»Mr Kelly«, rief Jarry mit ernster Stimme. »Ich weiß, dass Sie Michelle und mich hören können. Sie haben zehn Sekunden, herauszukommen, bevor ich Michelles Gehirn hier über den Teppich spritzen lasse.«
Michelle fuhr vor Schreck herum und starrte Jarry an. Er schüttelte den Kopf und machte eine beschwichtigende Geste mit der Hand, fing aber trotzdem laut an zu zählen. Bei fünf zog er den Hebel an der Seite der Maschinenpistole. Das metallisch-schleifende Geräusch hallte bedrohlich von den Wänden des Flurs wider.
»Vier, drei, ach, und überlegen Sie sich mal, wen ich nach Michelle wohl als Nächstes umlege.«
Plötzlich waren die hastigen Worte »Okay, ich bin hier« aus Bob McEwans Büro zu hören, aus dem auch eine Hand vorsichtig winkte.
»Bleiben Sie da stehen«, befahl Jarry und bedeutete Michelle vorzugehen.
Lieber hätte sie noch eine zweite Gruppe bewaffneter Psychopathen gefunden. Stattdessen stand jetzt Grant vor ihr, der wohl gerade keine Gedanken an letzte Nacht verschwendete. Er zitterte am ganzen Leib, war kreidebleich und hatte Tränen in den Augen. Da er das Kabarett unten nicht miterlebt hatte, hatte ihm nur seine verängstigte Fantasie Gesellschaft geleistet.
Dachte Michelle zumindest. Aber Jarry merkte gleich, dass es anders war.
»Haben Sie da ein Handy in der Tasche, oder freuen Sie sich nur, Michelle zu sehen?«
»Oh Gott«, entfuhr es ihr und Grant gleichzeitig, aber aus sehr verschiedenen Gründen. Auf Jarrys Geste hin überreichte Grant ihm das Handy.
»Setzen Sie sich«, forderte Jarry ihn auf und nickte Michelle zu, damit sie es ihm gleichtat. Sie gingen in das Büro des Regional Assistant Manager, von wo aus man einen Blick über den Schaltersaal hatte. Das Floß der Medusa wurde gerade von der Lady of Shallot angegriffen, deren Boot mit einer Kanone ausgestattet war, die man normalerweise nicht auf dem Bild sah.
»Schöne Aussicht«, sagte Jarry. Er hielt das Handy hoch. »Wen haben Sie angerufen?«
»N-niemanden«, stammelte Grant. Michelle schnaufte und seufzte. Vielleicht würde ihr der letzte Abend nicht ganz so schlimm vorkommen, wenn er wenigstens ein bisschen stark und männlich rüberkommen würde.
»Na, Chance vertan«, tadelte Jarry. »Also ich hätte ja sofort die Bullen angerufen.« Er schaute auf das Display und drückte ein paar Tasten. »Ich hätte mich natürlich auch ziemlich leise verhalten, weil hier ja überall Bankräuber rumlaufen. Vielleicht hätte ich denen eine SMS geschickt.«
Grant schwieg.
»Guck mal einer an: 15:56 ›bin ok. räubr noch unten. kann losghn‹. Kann losgehen. Was mag das bloß heißen? Und kurz davor, 15:47 ›räubr malt auf fenster. 1 nicht z sehn‹. 15:39 ›bin ok‹. 15:29 ›bin ok‹. 15:22 ‹streit zw geiseln. räubr schlagen geiseln‹. 15:17 ›bin ok‹. Und so weiter und so fort.«
Jarry drückte sich mit dem Daumen durch Grants SMS -Liste. »Sie haben da ja einen richtigen Augenzeugenbericht abgegeben. Ihren Schreibstil find ich zwar nicht so toll, aber Sie standen ja auch unter Druck. Hey!«
Er drückte nicht weiter und starrte Grant an. In den Augen war seine Wut zu sehen, während das gemalte Gesicht freundlich blieb.
»Die schicken wen rein«, rief Grant. »Bitte lassen Sie mich leben! Ich sag Ihnen alles, was ich weiß, alles, was ich denen gesagt hab.«
Jarry wedelte mit dem Handy. »Alles, was Sie mir sagen könnten, steht auch hier. Ich weiß, dass die wen reinschicken. Deshalb bin ich aber nicht sauer.«
Grant wirkte jetzt nicht mehr nur hilflos und ängstlich, sondern auch noch verwirrt. Michelle überlegte sich, dass sie wohl nicht ganz so hart mit ihm sein sollte, weil sie ja selbst gerade genauso erbärmlich unterwürfig gewesen war, als sie Angst gehabt hatte, den Zorn des bewaffneten Räubers auf sich zu ziehen. Armer Kerl. Was er getan hatte, hatte einigen Mut erfordert.
»11:48 ›Donny, alte Socke! Was für ein Abend! Michelle J hat mir einen geblasen. Demnächst mehr.‹«
»Du Arschloch!«, schrie sie.
Grant senkte den Kopf, der langsam wieder Farbe bekam, hauptsächlich rot.
»Wer ist Donny?«, fragte Jarry.
»’N Kumpel«, murmelte Grant, der keinem von beiden in die Augen sehen konnte.
»Solche Dinge erzählt man als Gentleman nicht unbedingt seinen Kumpels oder sonst wem weiter. Ist Donnys Nummer gespeichert? Oh,
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