Die hohe Kunst des Bankraubs: Roman (German Edition)
Noch verwirrender war, dass sie dabei eine Frauenstimme im Ohr hatte. Irgendwann würde es ihr schon einfallen; allzu wichtig war es sicher nicht, aber bis sie es herausgefunden hatte, würde sie den Satz sicher nicht loswerden.
»Hi«, riss sie eine Stimme aus den Gedanken über ihren Drink und das Filmzitat, die ihr Meter weit weg vorkam. Als sie aufsah, stand jemand an ihrem Tisch. Er trug einen grauen Anzug mit gelockertem Schlips und hielt ein Pint, das er wohl gleich selbstsicher hier abstellen wollte. Er war aber noch nicht bereit. »Hören Sie, normalerweise nerve ich ja keine Frauen, die alleine hier sind«, sagte er. So ein vorsichtiger, rücksichtsvoller Ansatz konnte nur das Werk eines Wiederholungsanmachers sein. Der Spruch hörte sich eingeübt und abgedroschen an.
Angelique schaute ihm über die Schulter. Dort saßen drei weitere Anzugträger, die ihr erwartungsvoll entgegenstarrten und genau beobachteten, wie ihr Kumpel sich schlug. Sie würden ihn verbal unterstützen, wenn er gut ankam und ihn genauso bereitwillig fertigmachen, wenn er abgewiesen wurde. Es wäre verlockend gewesen, dem Kerl einen fiesen Spruch zu verpassen, aber diese Typen hatten ein dickes Fell, und der Chor hätte sich darüber allzu sehr gefreut.
»Und ich erniedrige normalerweise keine höflichen, aber ungebetenen Verehrer. Machen wir heute lieber beide keine Ausnahme, okay?«
»Man kann niemanden erschießen, nur weil er’s versucht, oder?«, sagte er mit dem, was er für ein jungenhaft freches Grinsen hielt.
»Die Männer der Operation Flavius waren da anderer Meinung«, erwiderte sie.
»Was?«
»Die SAS in Gibraltar. Setz dich ab, solange du kannst, Junge. Deine Freunde warten auf dich.«
Er hob die Hände, um scherzhaft seine Niederlage zu signalisieren und behielt für alle Beobachter den großmütigen Gesichtsausdruck bei, während seine Augen ganz klar »verreck, du Kampflesbe!« ausstrahlten. Er drehte auf dem Absatz um und ging zum ausgelassenen Gelächter seiner Freunde zurück an deren Tisch.
Angelique seufzte und betrachtete wieder den leeren Platz ihr gegenüber, trank ihr Glas aus und knallte es frustriert auf den Tisch. Ach, leck mich, warum tust du mir das an? Gleichzeitig wusste sie aber, dass sie noch nicht gehen konnte, auch wenn dieser Zwang langsam nachließ.
Sie starrte das leere Glas an, war fast bereit, auf die Uhr zu schauen, aber noch nicht ganz. Ein zweiter einsamer Drink hieß doch nicht unbedingt ›versetzt‹, oder? Jeder konnte mal zu spät kommen, und bevor sie nicht auf die Uhr gesehen hatte, wusste sie nicht mal, um wie viel. Alles unter einer halben Stunde war nur ein verpasster Bus, ein Stau oder etwas in der Art. Danach fielen die Chancen allerdings steil ab, dass er kommen würde.
Ach, Scheiße. Sie konnte sich doch nicht ewig verarschen. Sie zog den Ärmel hoch, schaute auf die Uhr und seufzte ungläubig. Es kam ihr vor, als wäre sie schon so lange hier, dass The Blue Nile womöglich ein neues Album herausgebracht hatte, doch die Zeiger standen auf viertel nach acht, was hieß, dass sie erst zwanzig Minuten hier war. Er war nur eine Viertelstunde zu spät, und wenn man für ihre Uhren einen Fehlerspielraum von fünf Minuten einberechnete, glaubte er vielleicht, dass er bloß zehn Minuten verspätet war. Kein Grund zur Sorge.
Selbstverarschung war toll. Selbstachtung? Dafür war der Gin da.
Sie wollte gerade aufstehen und an die Bar gehen, als sie ihn sah. Er stand nahe der Tür und ließ den Blick mit einer Lässigkeit über seine Umgebung schweifen, die der komplexen Analyse hinter seinen konzentrierten Augen sicher nicht gerecht wurde. Das war er, das musste er sein. Selbst wenn Angelique die mögliche Zerrwirkung ihres Wunschdenkens einkalkulierte, war sie sich sicher, dass das der Mann war, der sie Samstagnachmittag festgehalten hatte. Seine Haltung kam ihr gleich bekannt vor: Er wirkte völlig unbeeindruckt von allem, was um ihn herum geschah, dabei auf seltsam gelassene Art und Weise entschlossen. Man bekam den Eindruck, er würde auch mitten in einer Massenschlägerei so cool den Blick schweifen lassen und nur hin und wieder einen muskulösen Arm heben, um das eine oder andere Wurfgeschoss abzuwehren.
Er hatte schulterlange, wasserstoffblonde Haare und etwas von einem kalifornischen Surf-Punk, was nicht so ganz zu seinen blauen Chinos und dem frischen weißen Hemd unter dem wallenden Mantel passte – vielleicht ein Surf-Punk, der sich für ein Date herausgeputzt
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