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Die hohe Kunst des Bankraubs: Roman (German Edition)

Die hohe Kunst des Bankraubs: Roman (German Edition)

Titel: Die hohe Kunst des Bankraubs: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher Brookmyre
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Verstärkung, sie hatte sich aus einer Laune hier hinausgewagt, die sie vorhin noch viel leichter hatte rationalisieren können. Herrgott, sie wusste janicht mal, wie er aussah, sie stand ja nicht auf ihn oder so. Sie war bloß … neugierig, und das wäre in der Situation doch wohl jeder.
    Neugierig, klar. Deshalb hatte sie ja auch dreimal das Outfit gewechselt, eine halbe Stunde mit dem Fön gekämpft und zum ersten Mal seit Ende der Neunziger wieder zum Make-up gegriffen, bevor sie es nach draußen geschafft hatte. Neugierig.
    Oh Gott, was machte sie hier eigentlich?
    Sie saß der Bar gegenüber in einer Nische in einem neueren Pub namens »The Institution«, den Jarry ausgesucht hatte. Sie war noch nie hier gewesen und hatte vor dem Anruf noch nie von dem Laden gehört. Wahrscheinlich hatte er ihn ausgewählt, weil er zentral gelegen und wie die meisten großen, modernen Pubs recht anonym war. Zwar gab es auch hier wiederkehrende Gäste, aber es war für niemanden die echte Stammkneipe, das Personal wechselte häufig und konnte sich nicht an viele Gesichter erinnern. Aber erst, als sie hier war, hatte sie verstanden, dass seine Wahl nicht nur auf taktischen Überlegungen basierte: Der Laden war eine umgebaute Bank.
    Als Angelique an ihrem Drink nippte, war sie hin- und hergerissen zwischen dem Verlangen nach der enthemmenden Wirkung des Alkohols und der Angst, ihr Glas könnte zu schnell leer sein. Sie wirkte sicher jetzt schon erbärmlich genug, aber beim zweiten Drink noch alleine dasitzen signalisierte in Großbuchstaben » VERSETZT «. Das war wertvolle Selbstverarschungspsychologie: Bevor sie das Glas nicht leer hatte, brauchte sie nicht auf die Uhr zu schauen, denn so spät konnte er dann ja noch gar nicht dran sein.
    Vielleicht war er ja schon da; das war nur einer der vielen unangenehmen Gedanken, mit denen sie fertig werden musste. Der Laden war von der Bar bis auf die Galerie recht gut besucht, und wie in jedem vollen Pub schweiften viele Augenpaare über die versammelten Gäste – auf der Suche nach Freunden, nach Liebe oder auch nur aus Langeweile. Auch sie hatte ein paar Blicke auf sich gezogen, vielleicht weil sie als Frau alleine hier war, vielleicht fiel es ihr aber auch nur stärker auf, weil ihr niemand gegenübersaß, dersie ablenkte. Auf jeden Fall fand sie all die Aufmerksamkeit nervenaufreibend, weil jedes männliche Augenpaar seins sein konnte, mit dem er die Situation bewertete oder womöglich sie selbst (»Oh nein, Kevlar steht dir wirklich viel besser«), bevor er beschloss, ob er nicht einfach wieder gehen sollte.
    Das würde ihr immerhin die eine Hälfte ihrer Ängste nehmen. Die unerklärlichen Schuldgefühle dauerten immer noch an, als würde sie die Schule schwänzen. Das war doch verrückt. Sie hatte noch nichts getan, wofür sie sich schuldig fühlen müsste. Die magische Grenze war eigentlich weniger überschritten worden als dass sie sich an Angeliques Gürtel verhakt und gedehnt hatte. Wer sagte überhaupt, dass sie die Gelegenheit nicht doch noch nutzen würde, um ihn und seine Komplizen ihrer gerechten Strafe zuzuführen? Sie hatte nichts und niemanden verraten. Sie ging einer Spur nach, die nur ihr allein offenstand.
    Ja, klar.
    »Impulsiv und eigenmächtig«, oder wie war das noch? »Einzelkämpferin außerhalb der Befehlskette«? Nein, sie verriet niemanden, wenn sie sich genau so verhielt, wie es ihr Tribunal ihr fälschlicherweise vorgeworfen hatte.
    Das konnte doch nur eine Katastrophe werden; unklar war nur das Ausmaß des Schadens. Andererseits wusste sie, dass sie hauptsächlich enttäuscht sein würde, wenn er nicht auftauchte. Und deshalb verdunstete ihr Gin Tonic wahrscheinlich, bevor sie ihn austrank.
    Sie starrte ins Glas und spielte mit dem Plastikstäbchen und dem Gedanken, den Drink in einem Zug zu leeren und abzuhauen. Aber das würde sie ja doch nicht tun. Wenn der Drecksack nicht auftauchte, würde sie wohl hier sitzen, bis der Pub schloss.
    Das hört sich jetzt sicher ein bisschen verschroben an …
    Kein Witz.
    Die Worte hatte sie einfach nicht aus dem Kopf bekommen, und zwar nicht nur wegen der nachfolgenden, oder weil sie ganz gut all das beschrieben, was sie seitdem getan und gedacht hatte. Da war noch etwas anderes: Sie kamen ihr allzu bekannt vor, sogar der Tonfall, in dem er sie ausgesprochen hatte. Sie nahm an, dass er wohl aus einem amerikanischen Film zitiert hatte, den sie schon dutzendmal gesehen hatte, auf den sie aber einfach nicht kam.

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