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Die Holzhammer-Methode

Die Holzhammer-Methode

Titel: Die Holzhammer-Methode Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fredrika Gers
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hatte er dem ja verboten, den Ort zu verlassen. Aber im Grunde war auch das erst mal egal, der hatte ja schon ausgesagt.

    Christine konnte die Einschätzung des Polizisten nicht ganz teilen. Die Schön war ihr gegenüber zwar kurz angebunden, aber keineswegs unfreundlich. Sie zeigte ihr das Zimmer und das Bad, händigte ihr die Schlüssel aus und informierte sie, dass es bis acht Uhr Frühstück gebe. Als Feriengast hätte Christine sich andere Zeiten vorgestellt, aber da sie für den Samstag eine Wanderung plante und an den Wochentagen arbeiten musste, war es ihr gleich. Am Sonntag würde sie einfach ausschlafen und dann irgendwo in einem Café frühstücken. Sie packte ihre Einkäufe aus und öffnete die Balkontür. Draußen auf dem Geländer saß eine zutrauliche getigerte Katze, die sich schnurrend streicheln ließ.
    Christine hatte heute keine Lust auf das Kneipenbiotop bei Manu. Auch die Aussicht, dort den Dorfpolizisten zu treffen, änderte daran nichts. Und schon gar nicht die Möglichkeit, ihr Abenteuer von letzter Nacht wiederzusehen. Nicht dass sie moralische Skrupel wegen des spontanen One-Night-Stands bekommen hätte. Es war vielmehr das unbestimmte Gefühl, ausgenutzt worden zu sein, von einem Menschen, der sie nicht verdient hatte. Also duschte sie, zog sich um und machte einen Spaziergang zum See.
    Sie kam an zwei Läden mit Schnitzereien, einem kleinen Supermarkt, einer Pizzeria und vier bayerischen Gasthäusern vorbei. Es waren noch recht viele Leute unterwegs, Touristen und Einheimische genossen den lauen Abend. Christine fiel auf, dass viele Einheimische in Tracht herumliefen – nicht nur alte Zausel, sondern auch ganz junge Kerle. Die meisten Teile der Berchtesgadener Tracht konnte man so oder so ähnlich überall in Bayern sehen, nämlich Haferlschuhe, Lederhose und das weiße Pluderhemd. Unverkennbar waren jedoch die enggeschnittene graublaue Jacke und der Hut mit den gebogenen weißen Federn des Birkhahns. Die Federn waren offensichtlich Pflicht, der teure Gamsbart optional.
    Christine landete am einzigen freien Tisch auf der Terrasse eines halb einheimisch und halb touristisch besetzten Lokals direkt am See. Sie aß eine ausgezeichnete Forelle und trank einen annehmbaren Cabernet Sauvignon dazu. Die Forelle stammte angeblich direkt aus dem Königssee. Doch da Christine kurz zuvor an unübersehbaren Hinweisschildern auf eine Fischzucht – genauer gesagt auf eine «Fisch-Erlebniswelt» – vorbeigekommen war, hatte sie so ihre Zweifel.

[zur Inhaltsübersicht]
    3
    Aus den Wiesen stieg Dunst empor. Die Sonne hatte sich noch nicht über den östlichen Rand des Göll-Massivs erhoben, der Talkessel lag noch im Schatten. Die Blüten der meisten Wildblumen waren noch geschlossen. Nur ein paar vereinzelte Pflanzen blinzelten bereits zwischen ihren Blütenblättern hervor, um den Moment nicht zu versäumen, in dem die Morgensonne so viel Kraft entwickelte, dass die volle Öffnung der bunten Sterne zu rechtfertigen war.
    Am Waldrand saß eine Gestalt, neben sich einen Weidenkorb, in dem ein Messer lag. Über die Wiese blickte sie auf den Ort hinunter – den Ort einer verdorbenen Kindheit. Als ein Fuchs über die Wiese lief, wurde sie wieder Kind – ein Kind, das sich glühend einen Hund gewünscht hatte. Aber die Eltern waren strikt dagegen gewesen. Und dann hatte der kleine Mischling eines Tages im Wald vor ihm gestanden, ausgehungert und verängstigt. Ohne nachzudenken, hatte es den Hund mit heimgenommen und im Schuppen versteckt. Wochenlang hatte es den kleinen Kerl heimlich mit Essensresten aufgepäppelt und war so oft wie möglich mit ihm zusammen in den Wald entwischt. Doch eines Abends fand das Kind in dem Schuppen statt des Hündchens seinen Vater. Er hatte das Tier erschossen. Das war die Lektion, die das Kind an diesem Tag lernte: Wer nicht spurt, wird erschossen. Prügel setzte es natürlich auch.
    Am nächsten Morgen hatte es völlig aufgelöst den Mitschülern davon erzählt. Doch die wollten solche Schauermärchen nicht hören, das Kind wurde nur noch mehr isoliert. Und der Lehrer glaubte kein Wort.
    Die Gestalt ergriff den Weidenkorb und machte sich auf die Suche nach Pilzen. Nach Pilzen, die jeder Sammler kennen sollte und die nicht selten waren. Doch während normale Sammler diese Pilze nur kannten, um sie zu meiden, sammelte sie einen ganzen Korb davon.

    Da Christine noch nie in ihrem Leben eine Bergtour unternommen hatte, hatte sie auch nicht wirklich bedacht, was man dazu alles

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