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Die Holzhammer-Methode

Die Holzhammer-Methode

Titel: Die Holzhammer-Methode Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fredrika Gers
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benötigte. Und so stellte sie am Samstagmorgen fest, dass sie zwar im Besitz nagelneuer Bergschuhe war, jedoch keinen Rucksack ihr Eigen nannte. Vielleicht konnte die Wirtin ihr einen leihen. Die Wanderkarte musste mit, das war klar. Aber Christine hatte noch nie eine Wanderkarte in der Hand gehabt. Ja, mit Stadtplänen konnte sie etwas anfangen; wenn man sie in einer fremden Großstadt irgendwo auf der Welt aussetzte, war sie mit Sicherheit in der Lage, den schnellsten Weg zum wichtigsten Museum zu finden. Auch Straßenkarten waren kein Problem. Aber sie hatte keine Vorstellung, wie viel Gehzeit sie für einen Zentimeter auf dieser Wanderkarte benötigen würde. Da waren zwar bewirtschaftete Hütten eingezeichnet, aber wie lange brauchte man dorthin? Sie musste auf jeden Fall Verpflegung mitnehmen. Aber eine Wasserflasche? Fehlanzeige! Dann würde sie eben die Colaflasche nehmen, die sie seit Tagen in ihrem Auto spazieren fuhr. Brote würde sie sich beim Frühstück schmieren.
    Als Nächstes stellte Christine fest, dass es ihr sogar an der passenden Bekleidung mangelte. Sie hatte sich noch nie Gedanken darüber gemacht, dass man nicht in jeder beliebigen Aufmachung bergwandern konnte. Aber ihre empfindliche helle Leinenhose war sicher ebenso ungeeignet wie der modische, wadenlange Rock, den sie gekauft hatte. Was trugen Leute denn zum Wandern? Die Patienten in der Klinik waren meist nicht fit genug, um ernsthafte Touren zu unternehmen. Und unter den Touristen, die man im Ort sah, fielen vor allem zwei Moderichtungen auf: Die eine Fraktion trug Kniebundhosen aus Cordstoff, dazu bunt gewürfelte Flanellhemden. Christine nannte sie die Wandervögel. Die andere Fraktion trug knallbunte sogenannte Funktionsbekleidung, wobei Christine sich fragte, welche Funktion solche Farben wohl haben konnten. Das waren die Wanderpapageien.
    Es war sieben Uhr morgens. Wann wohl die örtlichen Wanderhosenverkaufsstellen öffneten? Sie verspürte einen Bewegungsdrang, den Wunsch, sich durch körperliche Anstrengung ins seelische Gleichgewicht zu bringen, so wie sie es sonst beim Joggen tat. Sie wollte so bald wie möglich losziehen. Also doch die Leinenhose? Erst mal galt es, zu frühstücken und der Wirtin einen Rucksack zu entlocken. Christine ging die enge Treppe hinunter, auf der es ein wenig muffig roch. Im Frühstücksraum war bereits eingedeckt, für sie und einen traurig wirkenden jungen Mann. In der Tischmitte stand eine Thermos-Kaffeekanne, an jedem Platz ein Minibrotkörbchen mit ein paar dünnen Scheiben sowie drei dieser runden Aludöschen, die praktisch alles enthalten konnten, von Leberwurst über Frischkäse bis zu Nutella oder Honig. Lediglich die in winzigen, gläsernen Portionsschälchen kredenzte Marmelade schien selbstgemacht zu sein. Etwas mehr ländliche Frische am Frühstückstisch hatte Christine eigentlich schon erwartet.
    Sie schlussfolgerte, dass es sich bei dem jungen Mann um den Freund des Verstorbenen handeln musste. Daher wollte sie ihn nicht mit ihrer banalen Frühstückskritik belästigen, zumal sie – pietätlose Ärztin, die sie war – im Zimmer seines toten Kumpels wohnte. So grüßte sie nur freundlich, nahm sich Kaffee, aß zwei Scheiben Brot und hielt anschließend Ausschau nach der Wirtin. In der Küche wurde sie fündig. Frau Schön stand am Herd und rührte in irgendwelchen Töpfen. Sie sah aus, als wäre sie schon seit Stunden auf den Beinen. Auf dem Boden standen fünf Fressnäpfe, an denen sich sechs Katzen gütlich taten. Das Katzenfutter sah eindeutig appetitlicher aus als die Leberwurst in den Alupäckchen.
    Christine fragte, ob sie noch ein zweites Frühstück bekommen könne, um es sich einzupacken, und was das koste. Drei Euro, drei Scheiben Brot, zwei Butterpäckchen und zwei Leberwurstdöschen wechselten den Besitzer. Dann rückte sie mit ihrer zweiten Bitte heraus: ob die Wirtin ihr einen Rucksack leihen könne. Ihre Vermieterin zog die Stirn kraus, wie in einer großen Anstrengung. Einen Moment lang sah es aus, als wollte sie ablehnen. Doch dann verschwand sie durch die Kellertür unter der Treppe und kam kurz darauf mit einem uralten Militärrucksack wieder herauf, den sie demonstrativ mit der Hand abklopfte, sodass die Staubpartikel in der Morgensonne tanzten. Christine bedankte sich, schmierte sich im Frühstücksraum ihre Stullen und stieg dann hinauf in ihr Zimmer, um den Rucksack zu packen. Sie entschloss sich, doch einfach die helle Schlabberhose anzuziehen. Als sie

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