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Die Holzhammer-Methode

Die Holzhammer-Methode

Titel: Die Holzhammer-Methode Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fredrika Gers
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hielt sich seit vielen Jahren zwischen März und Mai in der Gemeinde auf. Er war der einzige Penner im Ort und allseits beliebt. Als er vor zwölf Jahren das erste Mal hier gewesen war, hatte er einen Bauern gefragt, ob er bei ihm arbeiten könne. Arbeit sei genug da, hatte ihm der Bauer beschieden, nur zahlen könne er nichts. Kein Problem, hatte der Penner gesagt, er wolle nur einen Schlafplatz in der Scheune. «Aber da derf ned gracht wern», hatte der Bauer gesagt. Der Penner hatte versichert, dass er weder rauche noch trinke, und so durfte er bleiben. Und als der Bauer einmal jammerte, dass sein neuer Mähdrescher schon wieder kaputt sei, sah der Penner sich die Sache kurz an und reparierte den Schaden in wenigen Stunden. Der Mann war nämlich Ingenieur. Solche Dinge sprachen sich schnell herum im Talkessel, und so kam es, dass der Penner selbst in der örtlichen Polizeidienststelle hoch angesehen war. Trotzdem wurde er niemals anders genannt als «der Penner».
    Einmal hatte er den Jungs vom Fußballverein eine Kiste Bier gekauft. Dann hatte er sich mit ihnen zusammengesetzt, und die Jugendlichen hatten ihn neugierig ausgefragt – über das Leben auf der Straße im Allgemeinen und über sein Leben im Besonderen. Dabei hatte der Penner selbst nur Mineralwasser getrunken und streng darauf geachtet, dass von den Jungs, die um die fünfzehn waren, keiner mehr als eine Flasche Bier erwischte. Auf ihr Nachfragen hin erzählte er, dass er früher ein Bauunternehmen hatte, eine Frau, ein Haus und einen Mercedes. Dann hatte er sich bei der Statik einer Brücke etwas verrechnet – aus Gier, wie er selbst sagte. Die Brücke brach zusammen. Niemand war verletzt worden, aber man hatte ihn für den entstandenen Schaden haftbar gemacht. Und so war sein Geschäft den Bach runtergegangen, das Haus kam weg, ebenso der Mercedes. Und als alles weg war, war auch die Frau weg. Dann hatte er noch eine kurze Zeit im Gefängnis zugebracht, und damit war seine bürgerliche Existenz vernichtet gewesen. Seit dieser Zeit zog er von Ort zu Ort, arbeitete hier und da ein bisschen für ein Dach über dem Kopf, zog je nach Wetterlage zwischen Dänemark und Italien hin und her. Und auf diesem Weg kam er regelmäßig im Frühjahr hier vorbei.
    Der Penner nahm einen Schluck Kaffee. Dann sagte er beiläufig: «In der Lohmaishütte liegt eine Leiche.»

    Christine wanderte durch die Berglandschaft, durch saftige Almen, die sich unterhalb schrofiger Felswände erstreckten, und durch bewaldete Abschnitte, die sich mit unverhofften Weitblicken abwechselten. Die ganze Zeit wurde sie von der unverkennbaren Silhouette des Watzmanns begleitet, der auf der gegenüberliegenden Seite des Königssees aufragte. An der rechten Seite des mächtigen Massivs konnte sie ziemlich weit oben ein Haus erkennen. Das musste das Watzmannhaus sein.
    Sie kam an einer unbewirtschafteten Berghütte vorbei, vor deren verwitterter Holztür ein Wasserstrahl in einen alten Holztrog plätscherte. Sehr gut, ihre Kehle war schon wieder staubtrocken. Christine war sportlich, aber der heiße Tag und der stetig ansteigende Weg, dazu die ungewohnt steifen Wanderstiefel und vielleicht auch die Höhe – all das forderte doch einige Anstrengung. Als sie stehen blieb, um die Wasserflasche aus dem Rucksack zu nehmen, sah sie plötzlich zwei Murmeltiere, die sich ein Stück den Hang hinauf die Bergkräuter schmecken ließen. Die Tiere wirkten behäbig und ließen sich nicht stören, obwohl sie Christine sicher bemerkt hatten. Der größere Geselle schnupperte kurz in ihre Richtung und wandte sich dann wieder dem saftigen Gras zu. Seine Frau blickte gar nicht erst auf. Wahrscheinlich hatte sie heute Morgen ihren Mann für den Wachdienst eingeteilt.
    Die Murmler zupften am Gras, hoppelten ein paar Schritte weiter, probierten Kräuter und schauten dann wieder neugierig in die Gegend. Ab und zu sahen sie sich gegenseitig an oder stupsten die Nasen zusammen. Sie schienen sich darüber zu verständigen, dass dies ein schöner Tag für einen ausgedehnten Brunch war.
    Christine beobachtete die kuscheligen Tiere, die sie bisher nur aus dem Fernsehen kannte. Sie wirkten entspannt und vollkommen mit sich und der Welt zufrieden. Sie wünschte, sie hätte das Gleiche von sich sagen können. Aber anstatt neben ihr Wache zu halten und zu pfeifen, wenn ein Adler nahte, vögelte ihr Mann mit einer fremden Frau. Mist, sie schaffte es nicht, die Gedanken an ihre völlig überraschend gestrandete Ehe zu

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