Die Holzhammer-Methode
als gehöre die Klinik ihm. Zumindest der Keller.
Holzhammer sah kurz zu Christine hinüber. Beide waren sich nicht sicher, ob der Student mitbekommen hatte, dass die Sache hier nicht ganz offiziell war. Vielleicht war er einfach noch nie bei einer Obduktion dabei gewesen und hielt ihr Vorgehen für völlig normal. Jedenfalls kam ihnen seine Kooperationsbereitschaft gerade recht.
Christine wusste nicht, wie sie erklären sollte, dass die Lagerung möglichst unauffällig zu erfolgen hatte. Dass nichts in irgendwelche Listen, Kataloge und Protokolle eingetragen werden durfte. Holzhammer nahm ihr die Sache ab, indem er einfach die Wahrheit sagte: «Das hier ist eine inoffizielle Untersuchung, verstehst du? Eine Obduktion ist eigentlich nicht vorgesehen.»
«Oh, verstehe. Kein Geld für Obduktionen», nickte Flori. «Die alte Leier. Kein zivilisiertes Land führt weniger Obduktionen durch als Deutschland. Wissen Sie, ich wollte ja eigentlich Gerichtsmediziner werden. Aber keine Chance. Kein Geld. Keine Stellen. Und die Folge: Tausende unnatürlicher Tode bleiben unentdeckt.»
«Genau das wollen wir in diesem Fall verhindern», sagte Christine. Sie war erleichtert, jetzt offen sprechen zu können. Der Student warf ihr einen bewundernden Blick zu.
«Darf ich zusehen?», fragte er. «Ich kann Ihnen assistieren. Und ich bin verschwiegen wie ein Grab.»
Holzhammer hingegen war bereits auf dem Weg nach draußen. «Ihr macht das schon», rief er durch die Tür. «Mich braucht ihr dann ja erst mal nicht mehr, oder? Ich müsste nämlich mal kurz an die frische Luft.»
Das war Christine nur recht, denn zwei Leute, die ihr bei dieser Arbeit zuschauten, waren fast schon einer zu viel. Sie und ihr eifriger Assistent gingen an die Arbeit. Schon nach kurzer Zeit war Christine froh, den jungen Mann bei sich zu haben. Im Gegensatz zu ihr hatte er sich nämlich während des Studiums ausführlich der Pathologie gewidmet. Sie ließ ihn die Proben entnehmen, während sie selbst den Leib öffnete, um an das Herz heranzukommen.
Zwei Stunden später stand für sie fest: Mathilde Zechner hatte keinen Herzinfarkt erlitten. Auch ein Schlaganfall war denkbar unwahrscheinlich. Das hieß, Christine war nicht schuld am Tod der Frau. Doch dafür warf diese Erkenntnis neue Fragen auf. Und wenn sie wissen wollte, was ihre Patientin nun wirklich das Leben gekostet hatte, musste sie Dr. Fischer von einer umfassenden Obduktion überzeugen. Oder jemanden auftreiben, der die entnommenen Proben chemisch untersuchte.
Flori riss sie aus ihren Gedanken: «Wenn wir schon dabei sind, sollten wir doch vielleicht auch von dem Flieger Proben entnehmen, oder? Wer weiß, eventuell haben ja beide Tode miteinander zu tun.»
Christine runzelte die Stirn. Was sollte ihre Frau Zechner mit dem jungen Gleitschirmflieger zu tun haben? Das erschien ihr äußerst unwahrscheinlich. Aber da Flori ihr so nett geholfen hatte und er sich viel mehr für den Fliegerkollegen interessierte – warum nicht. Und womöglich hatte er mit seiner Vermutung ja sogar recht.
Als sie fertig waren, verstaute Flori die Proben ganz hinten im Kühlschrank der pathologischen Abteilung. «Im Moment schaut hier außer mir sowieso kaum jemand rein», sagte er. «Ich bin ja der Hiwi, der den Pathologen die Präparate hinterherträgt.» Für alle Fälle tauschten sie noch ihre Handynummern aus. Dann verabschiedete sich Christine.
Draußen vor der Klinik saß Franz Holzhammer entspannt auf einer Bank und las den
Berchtesgadener Anzeiger
, den er sich vom Pförtner ausgeborgt hatte. Es war fast elf Uhr. Die Glocken läuteten. Ein Schwung Autos kam vorbei, alle mit einheimischen Kennzeichen.
«Kirche ist aus», kommentierte Holzhammer.
«Hm», machte Christine. «Für unsere beiden Toten hat wohl niemand gebetet.»
«Und wie schaut’s nun aus?», fragte Holzhammer. «Was hat die Leichenfledderei ergeben?»
«Es war kein Herzinfarkt und kein Schlaganfall», antwortete Christine, «und damit ist die Todesursache unbekannt. Und das bedeutet eigentlich, dass eine Obduktion zwingend vorgeschrieben ist. Die Frage ist nur, wie wir das deinem Chef beibringen.»
«Das lass mal meine Sorge sein. Aber du hast eben von zwei Toten gesprochen …»
«Ja, weil wir schon dabei waren, haben wir auch von dem Gleitschirmflieger Proben entnommen. Wenn der Leichnam morgen schon abgeholt wird, ist es zu spät.»
Holzhammer dachte an die beiden Trinkflaschen, die in seinem Büro auf dem Regal standen, und
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