Die Holzhammer-Methode
prätentiöser Chef, Wirtin Manu, die sich hier mit viel Arbeit eine Existenz aufgebaut hatte – beide schienen Matthias’ Buddhismus längst zu den Akten gelegt zu haben. Sie hatten die Geschichte wahrscheinlich schon zu oft gehört. Christine musste wieder an die tote Mathilde Zechner denken. Und daran, dass sie morgen sehr früh würde aufstehen müssen, um sich auf die Skalpell-Aktion vorzubereiten. Hauptsächlich mental.
Sie sagte zu Matthias: «Du, wir sollten langsam los, wir müssen ja noch in der Klinik vorbei.»
Sie zahlten und verabschiedeten sich. Dann fuhren sie in Richtung Reha-Klinik. Matthias wartete im Auto, während Christine im Gebäude verschwand. Und plötzlich fiel ihm auf, dass er sich seit dem gestrigen Unwetter fast ununterbrochen mit Christine beschäftigt hatte. Zunächst war sie einfach nur eine Fremde gewesen, die er, ohne darüber nachzudenken, aus dem Regen gerettet hatte. Einfach weil sie ohne Wetterschutz unterwegs gewesen war und weil er als Buddhist mit jedem Lebewesen Mitleid hatte. Er hätte auch einen alten Opa auf sein Motorrad gehievt. Dass sie weiblich und nicht ganz unattraktiv war, hatte er natürlich durchaus bemerkt – deshalb hatte er sie zum Kaffee eingeladen. Das folgende Gespräch hatte ihm ebenfalls gefallen, er hatte sich über ihre interessierten Fragen gefreut und mochte ihre unkomplizierte Art. Heute Abend war dann noch etwas dazugekommen, das ihm imponierte: Die Frau zeigte Zivilcourage. Und sie schien echten Anteil an ihren Patienten zu nehmen.
Als sie aus der Klinik wiederkam, stieg Matthias schnell aus dem Wagen, um ihr die Tür zu öffnen. Die Tasche, die sie bei sich trug, verstaute er auf dem Rücksitz.
«Leider hab ich keine Knochensäge gefunden», sagte Christine, während Matthias sich wieder hinters Steuer setzte. «Eventuell muss ich mir da im Kreiskrankenhaus was ausleihen. Ich kann natürlich auf die Schnelle keine komplette Obduktion durchführen. Aber ich muss mir unbedingt das Herz ansehen. Für einen Infarkt gibt es ein paar klare Zeichen, die will ich überprüfen.»
Matthias konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, wie diese zierliche Frau mit brachialen Methoden einen menschlichen Körper auseinandernehmen würde.
«Wenn du im Fernsehen mal CSI gesehen hast, dann weißt du, was man alles untersuchen kann. Aber man braucht wenigstens einen Anfangsverdacht, sonst ist das uferlos. Ich werde nachsehen, ob es im Herz Veränderungen gibt, die einen Infarkt ausgelöst haben könnten. Ob ein Herzkranzgefäß durch ein Blutgerinnsel verschlossen ist oder ob Verengungen durch Arteriosklerose vorhanden sind. Aber ich hab die medizinischen Daten von Frau Zechner mitgenommen, und denen zufolge dürfte das alles nicht der Fall sein.»
Für Matthias waren das böhmische Dörfer. Aber er hatte größten Respekt vor Christines Vorhaben. Um sie nicht zu unterbrechen, wartete er noch damit, den Wagen anzulassen.
«Eigentlich müsste ich mir auch das Gehirn anschauen», fuhr Christine fort, «aber achtzig Prozent der Schlaganfälle werden durch Arteriosklerose ausgelöst. Und wenn ich da im Herzen nichts finde und an der Halsschlagader auch nicht, dann kann man das eigentlich vernachlässigen.» Zu Christines persönlichem Interesse an der Aufklärung hatte sich inzwischen auch wissenschaftliche Neugier gesellt. Sie bemerkte, dass beides zusammen ausreichen könnte, ihren Widerwillen gegen das Aufschneiden von Menschen noch einmal zu überwinden.
«Ich bewundere dich total dafür, dass du dir so viele Gedanken um die Frau machst», sagte Matthias. «Sie war schließlich nur eine Patientin von vielen.»
«Nein, das war sie nicht», antwortete Christine verlegen. «Ich wollte, dass sie sich selbst mal etwas Gutes tut, sich Zeit für ihre eigenen Bedürfnisse nimmt. Und da habe ich ihr geraten …»
Christine zögerte. Sie kannte Matthias ja kaum. Andererseits, dachte sie, wenn sie es jemandem sagen konnte, dann ihm. Im Buddhismus gab es doch keine Schuld, das hatte er ihr erst gestern erzählt. Schuld sei ein christliches Konzept, von dem er nichts halte. Und so rückte sie endlich damit heraus, was ihr schon den ganzen Abend auf der Seele gelegen hatte. Sie erzählte ihm die ganze Wahrheit: dass sie es gewesen war, die der Frau Zechner zu ausgedehnten Spaziergängen geraten hatte.
Matthias schaute sie ruhig an und nickte. Ihm war klar, was das für Christine bedeutete. Aber er wusste auch, dass es in diesem Moment nichts Hilfreiches gab,
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