Die Holzhammer-Methode
Stationsärztin unbedingt dazu bringen, noch mal alle Daten über Mathilde Zechner durchzusehen.
«Jaja, oder Malaria vielleicht? Ich bitte dich. Die Frau ist aus dem Ruhrpott kaum herausgekommen. Außerdem kann ich mir kaum eine Viruserkrankung vorstellen, bei der man fröhlich zu einer Wanderung aufbricht und sich drei Stunden später zum Sterben hinlegt.»
«Tust du mir einen Gefallen und lässt die Blutproben trotzdem noch mal durchchecken?»
«Sicher, wenn du dann ruhiger schläfst. Hat das Labor mal etwas anderes zu tun als immer nur kleines Blutbild, großes Blutbild.»
«Vielen Dank!»
Christine ging in ihr Büro zurück und hatte sich kaum hingesetzt, als eine Sekretärin ihr das Fax der Zechner-Tochter brachte. Es enthielt die offizielle Genehmigung für die Obduktion. Damit war ihre sonntägliche Probenentnahme nachträglich abgesichert, zumindest gegenüber der Erbin. Sie überlegte. Im Grunde würde sie erst Gewissheit haben, wenn eine richtig professionelle Obduktion durchgeführt worden war. Wahrscheinlich konnte sie erreichen, dass die Klinik dies veranlasste – schon um sich abzusichern. Da musste sie nur bei den richtigen Leuten die richtigen Knöpfe drücken.
Das Fax noch in der Hand, rief Christine in der Kreisklinik an, um sicherzustellen, dass die Leiche weiterhin ordentlich aufbewahrt wurde. Doch Überraschung: Die Leiche war vor einer Stunde abgeholt worden. Die Zechner-Tochter hatte zwar die Obduktion genehmigt, doch sie hatte natürlich in ihrer Trauer und Verwirrtheit nicht daran gedacht, die Überführung abzubestellen.
«Wer zum Teufel hat sie abgeholt?» Christine brüllte vor Aufregung fast in den Hörer. Der Pförtner suchte das entsprechende Formular heraus und las ihr den Namen des Bestattungsinstituts vor.
«Steht da eine Handynummer?», fragte sie. «Der Kerl muss sofort umkehren und die Leiche wiederbringen.»
Betont langsam las der Pförtner ihr eine Nummer vor, die sie sich notierte. Kaum war er bei der letzten Ziffer angelangt, drückte sie auf die Gabel und wählte neu. Doch niemand meldete sich. So ein Bestatter hörte wahrscheinlich AC / DC während der Fahrt.
Christine rief nochmals den Pförtner an und ließ sich die Büronummer des Bestattungsinstituts geben. Doch auch dort ging niemand ans Telefon.
Am Nachmittag hatte sie noch zwei Therapiestunden zu absolvieren. Die erste gab ihr mal wieder Anlass, an Sinn und Zweck der Verhaltenstherapie zu zweifeln. Der Patient war ein Manager mit typischem Burn-out-Syndrom. Doch er war unter einem Vorwand in die Klinik gekommen, weil er es sich «beruflich nicht leisten» konnte, dass herauskam, er würde wegen «irgendwelcher Gehirnerweichung» behandelt. Offiziell kurierte er also seinen Tennisarm aus, während er in Wirklichkeit an Erschöpfungszuständen litt. Und anstatt endlich mal abzuschalten, schleppte er seit drei Wochen ständig zwei empfangsbereite Handys mit sich herum und erkundigte sich mehrmals täglich in der Firma nach dem Stand der Dinge. Er weigerte sich sogar, die Geräte wenigstens in der Therapiestunde auszuschalten. Normalerweise hätte Christine hier sofort ausgiebige Bergwanderungen verordnet, weil sie wusste, dass oben große Funklöcher existierten, in denen keinerlei Empfang möglich war. Aber nach dem Fall Zechner würde es lange dauern, bis sie wieder jemand in die Berge schickte.
Als letzte Patientin an diesem Tag kam ein junges Mädchen, das erst seit einer Woche in der Klinik war. Sie hatte sich bei einem Fahrradunfall den rechten Arm und das rechte Bein gebrochen, also auf den ersten Blick eine rein physiologische Angelegenheit. Doch nach den ersten beiden Stunden hatte Christine den Eindruck gewonnen, dass das Mädchen schwer depressiv war. Entsprechend zog sie in Betracht, dass der Unfall eventuell ein Suizidversuch gewesen war. Sie wusste noch nicht, wie sie an das Mädchen herankommen sollte, das von sich aus fast nichts sagte. Vielleicht würde es ihr innerhalb der begrenzten Zeit hier gelingen, vielleicht auch nicht. In diesem Fall waren dann eigentlich alle Stunden verschwendete Zeit.
Christine spürte plötzlich, wie erschöpft sie war, und ließ sich kraftlos in ihren Bürosessel fallen. Zum Glück hatte sie keine weiteren Termine mehr und konnte Feierabend machen.
Als Matthias von der Arbeit heimkam, hingen an allen Bäumen in seiner Straße Zettel mit dem Foto eines grauen Zwergpudels. Jemand vermisste seinen Hund. Matthias erinnerte sich an den blöden Köter, der alles
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