Die Holzhammer-Methode
in die nächste Einfahrt wieder hineinzugehen – direkt über den taunassen Rasen.
Da lag immer noch der Frosch. Die Katze hatte wohl ziemlich schnell von ihm abgelassen. Tote Frösche hatten vermutlich selbst für Katzen nur einen begrenzten Unterhaltungswert. Christine bückte sich und nahm die Amphibie an einem Bein hoch. Es war schon seltsam. Der Bauch war präzise aufgeschnitten und nicht von Katzenkrallen aufgerissen. Ihrer OP -Erfahrung nach hätte sie sogar gesagt, dass der Schnitt mit einem Skalpell gemacht wurde. So etwas taten doch wirklich keine Kinder, oder? Und wenn, wieso hätten sie den aufgeschnittenen Frosch auf den Rasen der Frau Schön legen sollen? Na ja, vielleicht sollte es ein Streich sein, dachte sie. Nach dem, was Matthias erzählt hatte, war die Frau bei den Kindern der Umgebung ja nicht sonderlich beliebt. Außerdem hatte Christine morgens um sechs keine Lust, sich über die fachgerechte Entsorgung toter Frösche Gedanken zu machen, und so legte sie das tote Tier einfach wieder auf den Rasen. Sie ging zur Haustür und schloss leise auf. Doch dann prallte sie erschrocken zurück, denn aus dem Hausflur kam ihr die Wirtin in voller Gartenmontur entgegen. Sie trug Gummistiefel, Schürze und Kopftuch. Frau Schön war wirklich eine Frühaufsteherin.
«Guten Morgen», sagte Christine. Und fügte dann hinzu: «Auf dem Rasen liegt ein toter Frosch, gestern hat die Katze damit gespielt. Haben Sie eine Idee, wo der herkommen könnte?»
«Jesus!», schrie die Frau anstatt einer Antwort – und stürmte an Christine vorbei in den Garten. In Gummistiefeln jagte sie über den Rasen, suchte den Boden ab und wurde schnell fündig. Behutsam hob sie den toten Frosch auf. Als sei er ein wertvoller Schatz. Oder das giftigste Lebewesen des Planeten. Jedenfalls fasste sie ihn ganz vorsichtig und nur mit den Fingerspitzen an. Kopfschüttelnd ging Christine die Treppe hinauf in ihr Ferienzimmer. Ihre Vermieterin war wirklich eine seltsame Person.
Bis zum Frühstück blieb ihr noch eine gute Stunde, geduscht hatte sie schon bei Matthias. So zog sie die Schuhe aus, legte sich noch eine Weile aufs Bett und ließ ihre Gedanken schweifen. Über die Sache mit Matthias machte sie sich keine Sorgen. Sie würde sich darauf einlassen, einfach so. Kein Grund zum Grübeln. Aber die Morde, die ließen ihr keine Ruhe. Konnte die Mörderin wirklich eine Einheimische sein? Wie krank musste man für so etwas sein? Menschen, die man persönlich kannte, traute man so was nie zu, dachte Christine, sonst könnte man ja niemand mehr den Rücken zudrehen. Dennoch gab es Mörder – und auch jede Menge Menschen, die diese Mörder im Alltag kennenlernten. Nicht wirklich natürlich. Wenn ein irrer Mörder überführt wurde, hörte man regelmäßig von den Nachbarn, er sei immer höflich gewesen, habe freundlich gegrüßt, seine Hecke ordentlich geschnitten, den Hund liebevoll gestreichelt und so weiter. Aber was bedeutete das? Eigentlich nichts. Außer dass in jedem Menschen viele Eigenschaften nebeneinander existieren konnten. Ein Mann konnte seine Wohnung jeden Tag penibel aufräumen und trotzdem eines Tages im Keller mit der Kettensäge eine Riesenschweinerei anrichten. Man konnte Kühe niedlich finden und trotzdem ohne schlechtes Gewissen ein blutiges Steak essen. Man konnte seinen Mann lieben und trotzdem fremdgehen. Aus einer Facette des Charakters konnte man nicht auf alle anderen schließen – bei niemandem. Wer also konnte wissen, was im Kopf dieser Giftmörderin vorging.
Als es Zeit war, zog Christine sich an und ging zum Frühstück hinunter. Die Wirtin hatte schon alles hergerichtet. Auch die Kanne mit heißem Kaffee stand bereits da.
Wie jeden Morgen aß Christine eine Scheibe Brot und ein Ei und trank zwei Tassen Kaffee dazu. Sie wunderte sich noch kurz, dass es an diesem Morgen nur eine Sorte gab – bisher waren es immer zwei verschiedene gewesen. Aber die selbstgemachte Holundermarmelade schmeckte phantastisch.
Dann ging sie wieder hinauf, um sich ein bisschen zu schminken. Sie war nicht die Frau, die sich komplett bemalte, und am Wochenende ging sie meist völlig ohne Make-up, aber in der Klinik war es wichtig, dass sie ihren Patienten gegenüber das Signal aussandte: «Ich tue etwas für mein Aussehen.» Viele depressive Patienten ließen sich in dieser Hinsicht nämlich völlig gehen und verstärkten dadurch die negativen Reaktionen auf ihr Auftreten.
Kaum in ihrem Zimmer angekommen, wurde Christine
Weitere Kostenlose Bücher